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Corona-Kritiker aus dem Ethikrat entlassen

Kritik an Corona-Maßnahmen führt zur Entlassung

Das bayerische Kabinett unter Ministerpräsident Söder hat den Münchener Wirtschaftsethik-Professor Lütge nach dessen Kritik an den Corona-Maßnahmen aus dem Bayerischen Ethikrat entlassen. Als Grund nennt die Staatskanzlei „wiederholte öffentliche Äußerungen von Herrn Professor Lütge, die mit der verantwortungsvollen Arbeit im Ethikrat nicht in Einklang zu bringen sind und auf Dauer dem Ansehen des Gremiums Schaden zufügen könnten.“ Der Kabinettsbeschluss ist bereits am 2. Februar 2021 ergangen und war einstimmig, wie ein Sprecher der Staatskanzlei dem Bayerischen Rundfunk bestätigt.

Der Ökonom und Philosoph Christoph Lütge ist Lehrstuhlinhaber des Peter-Löscher-Stiftungslehrstuhls für Wirtschaftsethik an der TU München. Dort leitet er auch das TU Ethik-Institut für Künstliche Intelligenz, das vom Facebook-Konzern finanziell unterstützt wird.

Die Position von Prof. Lütge in aller Kürze

Prof. Lütge: „Ich halte Corona nicht für ungefährlich, halte aber die meisten Corona-Maßnahmen (Lockdown, Schließung von Schulen, Geschäften, Gastro etc., Maskenpflicht) für unnötig und völlig unverhältnismäßig. Sie erzeugen massive Kollateralschäden“.

Im BR-Interview mit Kontrovers sagte er etwa am 20. Januar (s. Video), dass das Durchschnittsalter der Corona-Toten bei etwa 84 Jahren liege. „Da stirbt man an Corona oder an etwas anderem, so ist es nun mal. Menschen sterben.“

Ist der Ethikrat nur ein Akklamationsgremium?

Was sagt der Vorgang über die gegenwärtige Verfassung der Politik im Hinblick auf das Management der Corona-Pandemie?

Da gibt es jetzt nichts mehr zu beschönigen: Der Fall des aus dem bayerischen Ethikrat abberufenen Wirtschaftsprofessors Lütge ist ein demokratischer Offenbarungseid. Allem Anschein nach soll der Ethikrat lediglich als willfähriges Gremium zur Unterstützung der politischen Kommunikation der Staatsregierung dienen. Versteht sich der Ministerpräsident etwa als „Staatratsvorsitzender“? Die Glaubwürdigkeit des Ethikrats ist schon beschädigt, noch ehe er überhaupt seine Tätigkeit richtig aufgenommen hat.

Kritik unerwünscht

Natürlich steht es der bayrischen Staatsregierung zunächst einmal frei, welche Personen sie in den Ethikrat beruft und zu anderer Zeit wieder entlässt. Im konkreten Falle wurde nun aber Prof. Lütge offenbar deswegen entlassen, weil er eine kritische Position zu den undifferenzierten Corona-Maßnahmen der Regierung vertrat. Dabei half es ihm nicht, dass er seine Kritik mittels rationaler Argumente untermauert hat.

Es ist eine schlichte Tatsachenfeststellung, wenn Prof. Lütge sagt, das Durchschnittsalter der an Covid-19 Verstorbenen liege bei etwa 84 Jahren. Damit spricht er keinem Älteren das Grundrecht auf Leben ab. Er hat auch keineswegs gefordert, diesem Personenkreis die intensivmedizinische Behandlung zu versagen und Hochbetagte quasi einfach zu sterben zu lassen, wie das in einem Kommentar der Ethikrat-Vorsitzenden, Susanne Breit-Keßler, völlig überzeichnet in den Raum gestellt wird. Vielmehr hat er mit seiner berechtigten Kritik die Verhältnismäßigkeit der Lockdown-Maßnahmen hinterfragt.

Einseitige Schutzmaßnahmen sind verantwortungslos

Der Schutz des Lebens aller und die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems sind wichtige Ziele. Sie dürfen aber nicht getrennt von den gravierenden Nebenwirkungen für die gesamte Gesellschaft verfolgt werden. Die bestehenden Corona-Maßnahmen sind unverkennbar einseitig ausgerichtet.

Nicht wenige Experten aus der Wissenschaft vertreten diese Auffassung und fordern schon seit geraumer Zeit abgewogene Maßnahmen, die alle gesellschaftlichen Schichten in den Blick nehmen. Mit seiner Kritik ist Prof. Lütge also nicht allein. Indessen finden diese kritischen Stimmen kaum Gehör. Merkel, aber auch Söder und viele andere Ministerpräsidenten haben ein kleines, elitäres Beratergremium um sich geschart, dem alleine sie vertrauen. Abweichende Meinungen werden da als störend wahrgenommen.

Von eigenen Versäumnissen ablenken

Im konkreten Falle von Prof. Lütge scheint es nun so, dass die bayerische Staatsregierung solche Kritik nicht erträgt. Vielleicht will man auch davon ablenken, dass man gerade beim Schutz der Ältesten in den Heimen kläglich versagt hat: Nur 1 % der Bevölkerung lebt in Heimen, dennoch entfallen auf diese Gruppe ein Drittel aller Corona-Todesfälle.

Die Hälfte der Coronatoten entfällt auf die 4 % Ältesten der Bevölkerung (d.h., Alter >= 84 Jahre). Insgesamt sind in der Altersgruppe 80+ etwa 70 % aller Covid-19-Sterbefälle zu verzeichnen. Umgekehrt entfallen auf die jüngere Hälfte der Menschen (<= 46 Jahre) gerade 1 % der Coronatoten. Trotz dieser Fakten weiß die Politik nichts besseres, als den pauschalen Lockdown inklusive Kita- und Schulschließungen.

Man kommt an der Erkenntnis nicht vorbei, dass die politischen Entscheider im Laufe der Corona-Pandemie nahezu nichts dazugelernt haben. Sie werden ihrer Verantwortung für die Gesellschaft als Ganzes nicht gerecht. Und nun kommt auch noch hinzu, dass Kritiker mundot gemacht werden sollen.

Demokratie am Scheideweg

Dem mündigen Staatsbürger sollte dieser ganze Vorgang eine Warnung sein: Die verbrieften Grundrechte sind keine Selbstverständlichkeit mehr. Unter dem Dogma einer einseitigen Gesundheitsfürsorge drohen sie im Zuge der Corona-Pandemie ausgehebelt zu werden.

Wenn wir nicht aufpassen, dann schlittern wir sehenden Auges in den fürsorglichen Überwachungsstaat, der vorgeblich immer ganz genau weiß, was gut für uns ist. Das ist dann nicht mehr die liberale Demokratie des Grundgesetzes.

Wir haben noch in diesem Jahr die Chance, mit unserer Stimme jedwedem staatlichen Dirigismus eine Absage zu erteilen.

Quellen:

[1] Bayern: Ein Professor nervt mit umstrittenen Thesen zu Corona den Ethikrat | Bayern (merkur.de)

[2] Bayern: Nach Kritik an Corona-Politik: Söder reagiert und wirft unliebsamen Professor raus | Bayern (merkur.de)

[3] Ethikrat: Staatsregierung entlässt Lockdown-Kritiker Lütge

[4] Prof Christoph Lütge im Interview: „Menschen sterben ja nicht nur am Virus“

[5] Corona-Gipfel: Gegenwind für Merkel und die Länder wegen Experten – „Andere Sichtweisen offenbar unerwünscht“ | Politik (merkur.de)

[6] Angela Merkel: Unerwarteter Corona-Angriff! Leopoldina attestiert „politischen Missbrauch von Wissenschaft“ | Politik (merkur.de)

[7] Die Corona-Pandemie: Alter ist der dominierende Risikofaktor | sumymus blog

Nach der Ausnahme kommt die Normalität

Ausgangsbeschränkungen können wirken

Die getroffenen Maßnahmen zur Eindämmung der weiteren schnellen Ausbreitung des Coronavirus sind grundsätzlich sinnvoll. Entscheidend ist: Zunächst müssen wir die verfügten Verhaltensregeln konsequent einhalten und die Einschränkungen geduldig hinnehmen. Nur so kann eine Wirkung erzielt werden (s. a. Coronavirus – Schluss mit lustig). Offenbar sieht das die Mehrzahl der Menschen gleichfalls so. Noch ist das so richtig, muss man einschränken, doch darf der Übergang in die Normalität nicht beliebig in die Zukunft verschoben werden (s. a. Sehnsucht nach Normalität).

Nur um die Zahlen in die richtige Relation zu bringen: Derzeit sind in Deutschland ca. 0,1% der Bevölkerung mit dem Coronavirus infiziert. Von der Dunkelziffer wissen wir natürlich nichts genaues. Dennoch gibt es (noch) keinen Grund zur Panik! Das befürchtete schnelle exponentielle Wachstum der Infektionszahlen kann durch die verfügten Ausgangsbeschränkungen wirksam bekämpft werden (s. Coronavirus – Schluss mit lustig). Im besten Falle gelingt es so, die Zahl der Neuinfektionen in einem unkritischen Bereich zu halten (s. Das Coronavirus – So schnell breitet es sich aus).

Auswirkungen auf die Wirtschaft

Allerdings haben die Ausgangsbeschränkungen auch eine Kehrseite. Das öffentliche Leben kommt zum Stillstand. Die Wirtschaft leidet schon jetzt erheblich. Bei einer längeren Dauer würde sie schwer in Mitleidenschaft gezogen. Der Schaden wäre immens. Es geht dabei nicht nur um schnöden Mammon, etwa die ausbleibenden Gewinne von Konzernen. Weit gefehlt, es ist viel dramatischer. Die nackte Existenz von kleinen und größeren Unternehmen, Gewerbetreibenden und Selbständigen steht auf dem Spiel. Und schon bald wären die Beschäftigten mit ihren Familien unmittelbar davon betroffen, mit allen Konsequenzen für ihre Lebensgestaltung. Bereits binnen weniger Monate wäre der Niedergang für Hunderttausende, wenn nicht Millionen mit schwerwiegenden Einbußen bis hin zu Existenzverlusten verbunden.

Der Stillstand darf nur von kurzer Dauer sein

Die aus den jetzigen Maßnahmen resultierenden unmittelbaren Folgenwirkungen sind daher nur für eine eng begrenzte Zeitspanne von vielleicht maximal 4 – 6 Wochen akzeptabel. Spätestens ab Mai muss man zu einer gewissen Normalität mit verkraftbaren Einschränkungen zurückkehren und (je nach Stand der Dinge) andere Maßnahmen ergreifen, sonst ist der Schaden größer als der Nutzen und es droht langfristig die Erkenntnis: „Operation Gesundheitswesen gelungen, Patient Wirtschaft tot“. Oder so:

Leben temporär gerettet, Existenzen dauerhaft vernichtet.

Mit anderen Worten: Ausnahmen sind nur ausnahmsweise akzeptabel. Freies und selbstbstimmtes Leben und Wirtschaften ist nur in der Normalität möglich.

Es geht ums Ganze, nicht nur um das Gesundheitswesen

Die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems ist ein wichtiges Ziel. Es darf aber nicht getrennt von den gravierenden Nebenwirkungen verfolgt werden. Trotz der Gefährlichkeit des Coronavirus ist die Bekämpfung der Pandemie letztlich keine wissenschaftliche Frage, die Virologen beantworten können. Es ist vielmehr eine Herausforderung an die politische Bewertung. Wissenschaftler, auch Virologen, haben hierbei eine Stimme, mehr aber auch nicht. Letzten Endes müssen die verantwortlichen Politiker entscheiden und dabei alle relevanten Aspekte ins Auge fassen.

Auch im Hinblick auf die ethischen Fragen ist eine differenziertere Betrachtung vonnöten, als dies im ersten Impuls naheliegend erschien. Ist es wirklich human, jetzt Alte und Todgeweihte im Altersheim oder auf der Intensivstation zu isolieren? Bei Abwägung aller Bedenken könnte es am Ende menschlicher sein, von seinen engsten Angehörigen Abschied nehmen zu dürfen, als einige Wochen später vereinsamt dahinzuscheiden.

Die Freiheitsrechte sind ein sehr hohes Gut

Unabhängig davon sind auch die Eingriffe in die Grundrechte der Menschen nicht für einen längeren Zeitraum hinnehmbar. Die Hürden dafür müssen hoch, sehr hoch gelegt werden. In einer freiheitlichen Demokratie darf sich der Staat nicht dauerhaft derart tief in die Lebensgestaltung der Menschen einmischen.

Das Wesen der Freiheit liegt in der Selbstbestimmung des Individuums.

Es ist nicht Aufgabe des Staates, den mündigen Bürger durch Zwangsmaßnahmen vor sich selbst zu schützen. Genauso wenig darf er Ältere von der Teilhabe am öffentlichen Leben ausschließen, nur weil sie – rein statistisch gesehen – tendenziell stärker vom Coronavirus bedroht sind.

Der Weg in die fürsorgliche Diktatur ist kürzer, als man denkt

Was der Staat tun kann und tun muss ist, die Allgemeinheit vor dem Einzelnen zu schützen, sofern eine Gefahr von ihm ausgeht. Letzten Endes bleibt es aber eine schwierige Grenzziehung.

Dabei droht das Abgleiten in einen wohlmeinenden Totalitarismus, der sanfte Weg in die Diktatur. Indes, auch eine fürsorgliche Diktatur bleibt eine Diktatur. Totalitäre Staaten sind ja nicht per se böse. Auch sie wollen das Gute, aber eben mit den Zielen und auf die Weise, die die jeweils Herrschenden für richtig halten. Es ist die Normalität von Diktaturen, in das Leben der Bürger einzugreifen. Die Freiheit und Selbstbestimmung des Individuums bleiben dabei regelmäßig auf der Strecke. Das kann nicht unser Weg sein.

Nur in extremen Ausnahmesituationen und zeitlich streng limitiert, darf sich der Staat anmaßen, das Aufenthaltsbestimmungsrecht seiner Bürger einzuschränken.

Coronavirus – Schluss mit lustig!

Nach den neuesten Zahlen gibt es mittlerweile in Deutschland schon weit mehr als 10.000 Corona-Fälle. Im Artikel „Das Coronavirus – So schnell breitet es sich aus. Aber wir können etwas tun! (>LinkedIn 2020-03-18)“ wird ein Modell für die Ausbreitung des Coronavirus entwickelt und dargelegt, wie schnell die Anzahl der Infizierten schon in wenigen Wochen ansteigen wird, wenn wir nicht SOFORT wirksame Gegenmaßnahmen ergreifen.

Rigide Maßnahmen sind unabwendbar

Die gegenwärtig in allen Bundesländern verfügten Maßnahmen sind hilfreich. Es ist aber zu befürchten, dass sie nicht ausreichend sind, die Ausbreitung des Virus effektiv zu bekämpfen. Zudem ist es fraglich, ob der ausschließliche Fokus der Politik auf die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems nicht zu eng gesetzt ist.

Wenn wir jetzt zu zögerlich sind, werden wir nur den Anstieg der Neuinfektionen weiter nach hinten verschieben und etwas flacher gestalten. Momentan scheint genau dies noch das – etwas fatalistisch anmutende – Ziel der verantwortlichen Politiker zu sein (s. z.B. https://www.welt.de/politik/deutschland/article206578991/Coronavirus-Spahn-Das-wird-eher-viele-Monate-so-gehen-als-viele-Wochen.html). Das reicht aber nicht! Es reicht vielleicht zum Überleben, es reicht aber nicht dafür, die Krise in all ihren Aspekten tatsächlich und nachhaltig wirksam zu überwinden.

Was bringen halbherzige Maßnahmen?

Mit einer moderaten Eindämmung der Anzahl der Neuinfektionen im Sinne einer Kurvenverflachung und Verschiebung des Peaks der Virusinfektionen in die weitere Zukunft wird es uns gelingen, die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems aufrechtzuerhalten. Wir können so sicherstellen, dass die Anzahl der Corona-spezifischen Todesfälle niedrig bleibt. Das ist ein großartiges Ziel. Es ist aber nicht das Einzige, worum es geht und worum es gehen muss. Im oben zitierten Artikel „Das Coronavirus – So schnell breitet es sich aus. Aber wir können etwas tun! (>sumymus blog 2020-03-20)“ wird gezeigt, dass es bei Zweitinfektionsraten von maximal 1,2 bis 1,3 (d.h., 10 Erkrankte infizieren 12 bis 13 Gesunde) voraussichtlich viele Monate dauern wird (wahrscheinlich mehr als 12), den Peak bei der Anzahl der Neuinfektionen auf ein vom Gesundheitssystem beherrschbares Niveau abzusenken.

Es geht nicht nur um das Gesundheitssystem

Der Schaden eines solch langen Stillstands wäre immens. Die Wirtschaft würde dadurch schwer in Mitleidenschaft gezogen. Für alle wäre der Niedergang schon in wenigen Monaten spürbar. Und viele Existenzen wären ernstlich bedroht. So kann nur verfahren, wer sehenden Auges “Das Kinde mit dem Bade ausschütten“ will. Langfristig wäre das ein viel, viel größeres Unglück, als jetzt für einige Wochen auf billigen Spaß und Zerstreuung verzichten zu müssen. Ein bisschen Gegensteuern kann also nicht die Lösung sein.

Mit den gegenwärtig verfügten moderaten Maßnahmen sind vermutlich keine kleineren Zweitinfektionsraten als die genannten erreichbar. Das bedeutet: ein halbes, vielleicht ein ganzes Jahr mit merklichen und von vielen bereits als schmerzhaft empfundene Beeinträchtigungen des öffentlichen Lebens. Für nicht wenige existenzbedrohend. Und was erreicht man damit? – Die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems. Das kostet einen hohen Preis und greift dennoch zu kurz.

Klare Entscheidungen, vernünftiges und konsequentes Handeln

Die Politik muss jetzt wirklich drastische Maßnahmen ergreifen bis hin zu Ausgangssperren. Das gilt zumindest für die großen Städte. Wer immer noch nicht verstanden hat, dass die Lage ernst ist, der muss erforderlichenfalls mit Zwangsmaßnahmen zu einem sozialverträglichen Verhalten genötigt werden. Es sollte jedermann klar sein: Die Freiheit des einzelnen endet da, wo die Unversehrtheit und Freiheit aller ernsthaft gefährdet ist. Deshalb gilt: Vernünftige Menschen bleiben zuhause und reduzieren ihre sozialen Kontakte auf das absolut notwendige Mindestmaß. Wem diese Einsicht fehlt, dem muss man klare Anweisungen erteilen.

Das Ziel muss es sein, der Ausbreitung des Virus die Basis zu entziehen. Das geht nur durch entschlossenes und schnelles Handeln.

Mit halbherzigen Maßnahmen droht eine Hängepartie, ein viele Monate andauernder Stillstand in Wirtschaft und Gesellschaft mit unabsehbaren Konsequenzen.

Was wäre die Alternative?

Für den Fall, dass wir jetzt nicht wirksam handeln und es nicht gelingt, die Anzahl der Neuinfektionen dramatisch zu reduzieren, droht am Ende die Erkenntnis:

Operation Gesundheitswesen gelungen,
Patient Wirtschaft tot.

Das kann nicht das Ziel sein! Das darf nicht das Ziel sein! Es ist keine Option, die Krise auf viele Monate hinzuziehen. Deswegen müssen wir jetzt den beschwerlichen Weg einschlagen und kurzfristig schmerzhafte Beeinträchtigungen für jeden einzelnen hinnehmen. Die Alternative wäre ein wirtschaftlicher Zusammenbruch, wie man ihn nur aus Kriegszeiten kennt.

Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende

Nochmal: Vernünftige Menschen haben in den nächsten Wochen keine vermeidbaren (d.h., nicht lebensnotwendigen) persönlichen Kontakte außerhalb ihrer vier Wände. Alle anderen müssen bei Strafandrohung zuhause bleiben. So jedenfalls sollte die klare Ansage der verantwortlichen Politiker lauten.

Zusammenfassung

Wir haben drei Alternativen:

  1. Alles laufen lassen, wie gehabt.
    Haltung: Wird schon nicht so schlimm kommen.
    Gesundheitssystem: Die Anzahl der Infizierten steigt bereits jetzt rasant und wird an noch Geschwindigkeit zulegen. Der Peak der Infektionszahlen wird schon in einigen Wochen erreicht. Millionen werden davon betroffen sein. Viele Infizierte haben nur mäßige Symptome, wie das auch bei den jährlichen Grippewellen der Fall ist. Personen mit Vorerkrankungen sind besonders von ernsten Verläufen betroffen. Schon in wenigen Wochen, spätestens 2 – 3 Monaten ist das Gesundheitssystem völlig überlastet, es gibt viele Tote.
    Wirtschaft und Gesellschaft: Die Wirtschaft floriert zunächst munter weiter. Aber das dicke Ende kommt mit Sicherheit. Wahrscheinlich steuern wir auf eine massive Rezession zu. Dazu ernten wir eine gesellschaftliche und eine politische Krise.

  2. Moderate Maßnahmen ergreifen (so wie wir das aktuell sehen).
    Ziel: das Gesundheitssystem am Laufen halten.
    Gesundheitssystem: Die Anzahl der Infizierten steigt zunächst noch ungebremst exponentiell. Nach wenigen Wochen wird sich der Anstieg etwas verlangsamen. Der Peak der Infektionszahlen wird erst nach vielen Monaten erreicht. Aufgrund der geringeren Neuinfektionszahlen pro Zeiteinheit im Vergleich zur Alternative 1 bleibt das Gesundheitssystem funktionsfähig. Es gibt nur wenige Tote.
    Wirtschaft und Gesellschaft: Die Maßnahmen ziehen sich lange hin. Gesellschaft und Wirtschaft werden über viele Monate hinweg stark beeinträchtigt. Die Wirtschaft stagniert und bricht dann wahrscheinlich dramatisch ein. Es gibt viele Insolvenzen. Alle werden darunter leiden, am Ende sogar der Staat.

  3. Drastische Maßnahmen ergreifen (inkl. Ausgangssperren).
    Mehrere Ziele: das Gesundheitssystem am Laufen halten, der Ausbreitung des Virus den Boden entziehen. Wirtschaft und Gesellschaft so schnell wie möglich wieder in einen Normalmodus bringen.
    Gesundheitssystem: Die Anzahl der Infizierten steigt jetzt noch schnell, wird aber nach Inkrafttreten der scharfen Maßnahmen bald an Dynamik verlieren. Der Peak der Neuinfektionen wird schon in wenigen Wochen erreicht. Wir reden dann wahrscheinlich von „nur“ einigen zehntausend Menschen. Insgesamt wird eine höchstens 6-stellige Anzahl von Personen betroffen sein. Das Gesundheitssystem bleibt funktionsfähig. Es gibt nur wenige Tote. Infizierte werden konsequent in Quarantäne genommen. Die Ausbreitung des Virus ist eingedämmt.
    Gesellschaft und Wirtschaft kommen jetzt sofort zum fast vollständigen Stillstand. Aber: Schon in wenigen Wochen kann man schrittweise wieder in einen normal zu nennenden Modus mit nur leichten Einschränkungen zurückkehren. Die Wirtschaft erholt sich sehr schnell. Es gibt Beeinträchtigungen, sie sind aber zu verkraften. Der Kollaps wird abgewendet.

Etwas anderes als Alternative 3, kann doch wohl niemand ernsthaft in Erwägung ziehen.

Das Coronavirus – So schnell breitet es sich aus.

Aber wir können etwas dagegen tun!

Zusammenfassung

Es wird ein Modell für die Ausbreitung des Coronavirus entwickelt. Darauf fußend werden die resultierenden Zahlen der Infektionsverläufe prognostiziert (Diagramme) und die Sinnhaftigkeit der Maßnahmen abgeleitet.

Sofern wir die jetzt verfügten Maßnahmen umsetzen und uns alle daran halten, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit sichergestellt, dass es nicht wieder zu einem exponentiellen Anstieg der Infektionszahlen und damit zu neuen Ausbreitungswellen kommt. In einer etwas moderateren Form ist das erforderlich bis zur Zulassung und allgemeinen Verfügbarkeit eines Impfstoffs. Erst danach können wir wieder in „alte Verhaltensmuster“ zurückfallen.

Entscheidend ist: Zunächst müssen wir die akut anstehenden drastischen Verhaltensregeln konsequent einhalten und die Einschränkungen geduldig hinnehmen. Dabei wird die Wirtschaft kurzfristig leiden, aber schon nach Überwindung des jetzt noch vor uns liegenden hohen Anstiegs an Neuinfektionen wird in 4 bis 6 Wochen ein durchaus normales Wirtschaftsleben mit einigen kleineren Einschränkungen wieder möglich sein. Die Alternative einer halbherzigen Umsetzung wäre ein dauerhaftes Stagnieren der Wirtschaft, weil immer wieder neue Ansteckungswellen drohen.

Hinweis für den eiligen Leser: Die Abschnitte „ABER: Wirtschaft und Gesellschaft ebenfalls im Auge behalten„, „Validierung der Lösungsstrategie“ und „Schluss und Ausblick“ weiter unten enthalten alles Wesentliche für die erfolgreiche Bewältigung im Hinblick auf die weitere Ausbreitung des Virus.

Einleitung

Am Corona-Virus kommt man in diesen Tagen nicht vorbei. Nahezu alle öffentlichen Veranstaltungen sind abgesagt. Sportstätten, Theater, Museen sind dicht, Fußballspiele finden nicht mehr statt. Clubs geschlossen, Kneipen und Restaurants im reduzierten Abstandsbetrieb. Konferenzen und Messen abgesagt. Mittlerweile sind auch die Grenzen geschlossen. Können wir so die weiter Ausbreitung der Epidemie stoppen oder zumindest den Verlauf und Anstieg der Neuinfektionen verlangsamen? Zumindest kann man diesen Maßnahmen, auch ohne Experte  zu sein, die Vernünftigkeit nicht absprechen. Die Idee dahinter: Wenn die Menschen weniger in Kontakt zueinander treten, dann sollte doch zumindest das Ansteckungsrisiko für die Nichtinfizierten sinken. Das ist einleuchten!

Im Folgenden soll zunächst ein einfaches Modell für die Verbreitung des Virus entwickelt werden. Auf Basis des Modells können wir dann abschätzen, wie die Zahl der Infizierten weiter wachsen wird. Ferner können wir durch Variation der Modellparameter unterschiedliche Szenarien durchspielen und so die Verhaltensmaßregeln der Mediziner (Hygiene, soziale Kontakte, …) im Modell spiegeln. Wir gewinnen so Erkenntnisse über die mutmaßliche Wirksamkeit der Maßnahmen im Hinblick auf die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Corona-Epidemie und können auf dieser Basis unser eigenes Verhalten daraufhin abstimmen.

Ausgangsbasis für die Modellbildung

Die Inkubationszeit des „COVID-19“ genannten Virus beträgt zwischen 2 und 14 Tagen. Meist werden 7 – 14 Tage angegeben. Das Virus wird vornehmlich durch Tröpfcheninfektion übertragen. Diese kann von direkt von Mensch zu Mensch erfolgen, wenn Virus-haltige Tröpfchen an die Schleimhäute der Atemwege gelangen. Auch eine Übertragung durch Schmierinfektion über die Hände, die mit der Mund- oder Nasenschleimhaut sowie mit der Augenbindehaut in Kontakt gebracht werden, ist prinzipiell nicht ausgeschlossen, spielt aber vermutlich nur eine untergeordnete Rolle. Das Virus ist hoch ansteckend und kann schon innerhalb der Inkubationszeit auf andere übertragen werden. Oft ist es sogar so, dass ein Infizierter noch gar keine Beschwerden verspürt) (s. https://www.infektionsschutz.de/coronavirus-sars-cov-2.html).

Das Robert-Koch-Institut gibt für die  Dauer der Infektiosität einen Zeitraum von bis zu 8 Tagen an. (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html#doc13776792bodyText5). Das ist die Zeitspanne, innerhalb derer Patienten, die mit COVID-19 infiziert sind und Symptome aufweisen, das Virus an andere übertragen können. Diese Zahl ist indes unsicher, sie beruht tatsächlich nur auf einer kleinen Studie mit 9 Patienten. Ebenfalls bekannt ist, dass auch Patienten ohne Symptome andere infizieren können, offenbar auch schon innerhalb der Inkubationszeit. Für die Modellbildung entscheidend ist weniger die genaue Größe der Infektiosität, als vielmehr die definitive zeitliche Begrenztheit. Wenn jeder Infizierte dauerhaft Überträger des Virus sein würde, wäre es unausweichlich, dass über kurz oder lang alle Menschen erkrankten. Völlig gleich, welche (realistischen) Schutzmaßnahmen man auch immer ergreifen würde.

Mathematisches Modell für die Beschreibung der Ausbreitung

Sei  \(N\) die Größe der Population. Der Wert \(q\) steht für die Wahrscheinlichkeit, dass beim Kontakt mit einem Virusträger eine Übertragung stattfindet (was nach den obigen Ausführungen nur innerhalb der begrenzten Infektionszeit möglich ist). Ferner sei \(k\) die durchschnittliche Anzahl der Kontaktpersonen und \(k_{n}\) die durchschnittliche Anzahl der nicht infizierten Kontaktpersonen eines Erkrankten. Die Anzahl der Neuinfizierten im Intervall  bezeichnen wir mit \(a_{n}\). Die Gesamtanzahl aller bis zum Intervall \(n\) bereits Erkrankten in der Population nennen wir \(s_{n} \). Offensichtlich gilt \(s_{n} = \sum_{i=0}^{n} a_{i} \).

Für die Anzahl der Neuinfizierten im Intervall \(n+1\)  erhalten wir nun:

\begin{equation} a_{n+1} = q \cdot k_{n} \cdot a_{n} \end{equation}

Wie kommen wir hierin zum Wert von \(k_{n}\)? Ganz einfach: Die Wahrscheinlich dafür, dass eine zufällig aus der Gesamtpopulation gewählte Kontaktperson noch nicht infiziert ist, können wir leicht bestimmen. Es ist der Quotient \(\frac{N-s_{n}}{N} \). Demnach gilt

\begin{equation} k_{n} = \frac{N-s_{n}}{N} \cdot k \end{equation}

Zusammengefasst erhalten wir also

\begin{equation} a_{n+1} = q \cdot k \cdot \left (1 – \frac{s_{n}}{N} \right ) \cdot a_{n} \end{equation}

Oder ausgeschrieben

\begin{equation} a_{n+1} = q \cdot k \cdot \left (1 – \frac{1}{N} \sum_{i=0}^{n} a_{i} \right ) \cdot a_{n} \end{equation}

Damit sind wir mit der Modellformulierung bereits fertig.

Hinweis: Das Produkt aus Kontaktanzahl und Infektionswahrscheinlichkeit wird oft auch als Reproduktionsfaktor oder R-Wert bezeichnet.

Exemplarische Modellbetrachtung

Was ist ein vernünftiges Intervall in der Modellbeschreibung? Nach dem eingangs zur Inkubationszeit und zur Zeitdauer der Infektiosität Gesagten, erscheint es sinnvoll, als Intervall einen Zeitraum von etwa 7 Tagen zu wählen. Der Index \(n\) steht daher für die fortlaufende Nummer einer Woche. Wir fragen also nach der Anzahl der Neuinfektionen in der \(n\)-ten Woche des Betrachtungszeitraums.

Das RKI (Robert-Koch Institut) gibt an, dass derzeit ein Erkrankter im Mittel 2,4 bis 3,3 weitere Personen infiziert. Im Modell können wir das folgendermaßen abbilden: Wir nehmen z.B. an, die durchschnittliche Anzahl  \(k\) der Kontaktpersonen eines Infizierten liege bei etwa 24 – 33 (pro Woche); gleichzeitig unterstellen wir ein Ansteckungsrisiko von  \(q\) pro Kontaktperson. Im Hinblick auf die Ausbreitung des Virus liefe es im Mittel auf dasselbe hinaus, wenn wir stattdessen von 2,4 bis 3,3 Kontaktpersonen bei einem Ansteckungsrisiko von 100% ausgehen würden oder 48 bis 66 Kontaktpersonen bei einem Ansteckungsrisiko von 5%. Entscheidend ist lediglich das Produkt aus beiden Modellparametern.

Dadurch wird das effektiv von einem Erkrankten ausgehende Risiko bei Einhaltung der Verhaltensregeln (Hygienemaßnahmen, möglichst weitgehende Kontaktreduzierung) beschrieben. Solange noch kein Impfstoff zur Verfügung steht, ist dies die einzige Stellgröße zur Verlangsamung des Anstiegs der Infektionszahlen. In Abb. 1 und 2 sind die gerechneten Verläufe der Neuinfektionen und der Gesamtfallzahlen für Zweitinfektionsraten von 3,3 bzw. 2,4 dargestellt.

Anwendung auf den Status quo

Nachfolgend sind zwei Diagramme dargestellt, die zeigen, wie sich die Infektionszahlen wahrscheinlich entwickeln, wenn man nichts tut.

Abb. 1: Verlauf der Infektionen bei \(q = 10\%\), \(k = 33\) (entsprechend 3,3 Zweitinfektionen pro Erkranktem). Gesamtanzahl der Infizierten (blau) auf der linken Achse, Neuinfektionen (rot) auf der rechten Achse. Die Anzahl der Neuinfektionen erreicht in der 16. Woche mit ca. 37 Mio. ihr Maximum. Dann sind schon 60 Mio. Einwohner infiziert. Bereits nach 17 Wochen sind nahezu alle 83 Mio. Einwohner erkrankt.

Abb. 2: Verlauf der Infektionen bei \(q = 10\%\), \(k = 24\) entsprechend 2,4 Zweitinfektionen pro Erkranktem). Gesamtanzahl der Infizierten (blau) auf der linken Achse, Neuinfektionen (rot) auf der rechten Achse. Die Anzahl der Neuinfektionen erreicht in der 22. Woche ihr Maximum mit ca. 23,5 Mio. Bis dahin sind bereits über 50 Mio. Einwohner infiziert. Die Gesamtanzahl der Infizierten bleibt nach der 24. Woche mit knapp 80 Mio. konstant. Am Ende werden nur etwa 3 Mio. verschont.

Die aus den aktuell vorherrschenden Zweitinfektionen (2,4 – 3,3) resultierenden Verläufe sind gewiss nicht beherrschbar. Bei 3,3 (s. Abb. 1) erhalten wir 37 Mio. Neuinfektionen bereits in der 16. Ausbreitungswoche. Sogar bei 2,4 (s. Abb. 2) sind es im Maximum immer noch fast 24 Mio. Neuinfektionen, wenn auch erst in der 22. Woche.

Einfache Modellanalyse

Mittels des Modells kann man leicht bestimmen, welche Bedingung erfüllt sein muss, damit die Anzahl der Neuinfektionen ab einem bestimmten Zeitintervall nicht weiter wächst. Dies ist doch offensichtlich dann der Fall, wenn \(\frac {a_{n+1}}{a_{n}}  \le 1\) ist, wenn also gilt, \( q k \left (1 – \frac{s_{n}}{N} \right ) \le 1\). Demnach lautet die Bedingung

\begin{equation} \frac{s_{n}} {N} \ge 1 – \frac{1}{q k} \end{equation}

Erst dann also, wenn der relative Anteil der Infizierten an der Gesamtpopulation erstmals den Wert \(1 – \frac{1}{q k}\) übersteigt, gehen die Neuinfektionen zurück. Diesen Zusammenhang kann man umgekehrt zur Bestimmung der Gesamtanzahl der Erkrankten bei diesem Wendepunkt nutzen. Im Falle der obigen Werte des RKI (2,4 bis 3,3) liegen die entsprechenden kumulierten Infektionszahlen im Wendepunkt bei \(\frac{s_{N}}{N} = 58\%\) (das sind etwa 48 Mio. Menschen in Woche \(n = 16\)) bzw. \( \frac{s_{N}}{N} = 70\% \) (das sind etwa 58 Mio. Menschen in Woche \(n = 22\)).Variation der Modellparameter

Im Folgenden betrachten wir den Verlauf der Neuinfektionen bei Variation der Zweitinfektionsrate pro Erkranktem von 3 bis hinunter auf 1,1 (s. Abb. 3).

Abb. 3: Verlauf der Neuinfektionen bei Variation der Zweitinfektionsrate pro Erkranktem von 3 bis hinunter auf 1,1 (entsprechend \(q = 10\%\), \(k = 30, 25, 20,\cdots11\) oder jeder anderen Kombination von Ansteckungsrate \(q\) und Anzahl der Kontaktpersonen \(k\) mit dem gleichen Produkt \(q \cdot k\)). Die nicht dargestellten Maxima bei den Kurven für 3, 2,5, 2 und 1,9 Zweitinfektionen liegen bei 37 Mio., 24,5 Mio., 15,5 Mio. und 14 Mio. Neuinfektionen pro Intervall (Woche). Der Höchststand für 1,1 Zweitinfektionen (dunkelgrüne Kurve ganz rechts) liegt weit außerhalb des Betrachtungszeitraums etwa in der 149. Woche mit nur noch 365.000 Neuinfektionen und ist gleichfalls nicht dargestellt.

Wie man der Grafik (s. Abb. 3) entnimmt, verschiebt sich das Maximum der Anzahl der Neuinfektionen bei einer geringeren Anzahl von Zweitinfektionen schnell nach rechts. Man gewinnt durch die Reduktion der Zweitinfektionsrate also auf jeden Fall Zeit, die Leben retten kann. Diese Zeit kann man nutzen, um z.B. einen Impfstoff zu finden und einsatzreif zu machen. Fast noch wichtiger in diesem Zusammenhang: Die Überlastung des Gesundheitssystems wird vermieden, wenn bestimmte Grenzen von Neuinfektionen pro Woche unterschritten werden.

Im Gesundheitssystem handlungsfähig bleiben

In Deutschland verfügen wir über ca. 20.000 Intensivstationen. Wenn wir annehmen, dass die schweren Krankheitsverläufe in etwa 1% der Fälle vorkommen, wären wir folglich in der Lage, im Extremfall bis zu 2 Mio. (= 20.000/0,01) Neuinfektionen pro Woche zu beherrschen. Das entspricht einer Zweitinfektionsrate von 1,2 – 1,3 (s. die beiden entsprechend betitelten grünen Kurven in Abb. 3). Noch besser wäre es freilich indessen, die Anzahl der Zweitinfektionen auf 1,1 zu bringen (dunkelgrüne Kurve ganz rechts in Abb. 3; ihr Maximum ist nicht mehr dargestellt und liegt etwa in der 149. Woche mit nur noch 365.000 Neuinfektionen; s. a. Abb. 10 im Anhang).

Ohne Impfstoff müssen wir die Zweitinfektionen unterhalb von 1,3 halten, andernfalls lässt sich die Überlastung des Gesundheitssystems mit der Konsequenz vieler Todesfälle kaum vermeiden. Wenn das nicht gelingt, werden wir schon bei noch moderaten 1,5 bzw. 1,4 Zweitinfektionen im Maximum 6 Mio. bzw. 4,2 Mio. Neuinfektionen pro Woche sehen. Dies wird dann allerdings erst in der 43. bzw. der 50. Woche auftreten, so dass man immerhin hoffen kann, dass bis dahin ein Impfstoff verfügbar sein wird (s. a. Abb. 8). Mit 1,2 Zweitinfektionen würden wir die Neuinfektionen pro Woche unter dem Maximalwert von 1,3 Mio. halten können, wobei dieser Höchstwert sogar erst in 84. Woche auftreten würde.

ABER: Wirtschaft und Gesellschaft ebenfalls im Auge behalten

Ist das also die Lösung? Wohl kaum! Richtig ist: Aufgrund der Kurvenverflachung wäre die Corona-Krise für Zweitinfektionsraten von maximal 1,2 bis 1,3 am Ende vom Gesundheitssystem zu bewältigen. Das hieße aber auch, die Wirtschaft über 9 bis 12 Monate oder vielleicht sogar noch weit darüber hinaus auf Sparflamme zu fahren. Wir würden zwar überleben, aber zu welchem Preis? Letztlich ist es also keine sinnvolle Lösung, den Peak der Neuinfektionen einfach nur in die Zukunft zu schieben, wie das in den Medien und Talkrunden gerne dargestellt wird. Endscheidend ist dies: Wir müssen es schaffen, die Zweitinfektionen auf einen Wert von 1 oder darunter zu bringen. Nur so können wir Neuinfektionen aus der Phase des exponentiellen Wachstums herausbringen und die Krise letztlich für das Gesundheitssystem, die Wirtschaft UND die Gesellschaft insgesamt konstruktiv gestalten.

Dafür ist es unbedingt erforderlich, jetzt sofort und mit aller Macht wirksame Maßnahmen zu ergreifen. Die Maßnahmen sind z. T. schon in Kraft gesetzt, sie müssen aber auch von allen konsequent eingehalten und nötigenfalls gar verschärft werden. Bei Erfolg werden wir schon binnen 4 bis 6 Wochen Licht am Ende des Tunnels sehen und können sukzessive zur Normalität zurückkehren.

Validierung der Lösungsstrategie

Mittels des Modells können wir diese Strategie leicht überprüfen. Derzeit befinden wir uns noch in der Phase exponentiellen Wachstums mit \(q \cdot k = 2.4 \cdots 3.3\) Zweitinfektionen und rechnen daher mit um die entsprechenden Faktoren 2,4x bis 3,3x vervielfachten Neuinfektionen von Woche zu Woche. Wir müssen dafür sorgen, dass das Produkt \(q \cdot k \) relativ schnell \(< 1\) wird.

Das erste Auftreten des Corona-Virus in Deutschalnd liegt etwa 8 Wochen zurück. Im bisherigen Verlauf hat sich das Virus mit etwa 3,3 Zweitinfektionen ausgebreitet (wir gehen in der Modellrechnung von diesem pessimistischen Wert aus). Nun unterstellen wir, dass es gelingt, mit den angekündigten und ggf. noch zu verschärfenden Maßnahmen diesen Wert nach Woche 10 auf 0,9 zu drücken (im Modell also \(q \cdot k = 0.9\)). Abb. 4 zeigt den resultierenden Verlauf der Neuinfektionen und der Gesamtanzahl der Infizierten über die Zeit.

Ziel 1: 0,9 Zweitinfektionen – nicht hinreichend

Abb. 4: Verlauf der Infektionen bei \(q =10\%\), \(k = 33\) bis Woche 10 und \(q = 10\%\), \(k =9\) ab Woche 11 (entsprechend 0,9 Zweitinfektionen pro Erkranktem). Gesamtanzahl der Infizierten (blau) auf der linken Achse, Neuinfektionen (rot) auf der rechten Achse. Es dauert ein Jahr, bis die Krise komplett überstanden ist.

Der Verlauf nach Abb. 4 zeigt, wie es prinzipiell gehen kann. Die Anzahl der Neuinfektionen erreicht in der 10. Woche ihr Maximum mit ca. 46.000. Danach gibt es von Woche zu Woche etwa 10% weniger Neuinfektionen. Zum Zeitpunkt des Höchststands sind bereits knapp 70.000 Personen Einwohner infiziert. Die Gesamtanzahl der Infizierten bleibt nach der 52. Woche mit knapp 470.000 konstant. Die Dauer der Krise ist mit einem vollen Jahr aber dennoch entschieden zu lang.

Ziel 2: Dauerhaft 0,5 Zweitinfektionen – zu optimistisch

Betrachten wir ein zweites Beispiel. Wieder mit den pessimistischen 3,3 Zweitinfektionen im anfänglichen Verlauf bis zur 10. Woche. Ab Woche 10 gehen wir nun von nur noch 0,5 Zweitinfektionen aus (im Modell also \(q \cdot k = 0.5\)). Abb. 5 zeigt den resultierenden Verlauf.

Abb. 5: Verlauf der Infektionen bei \(q =10\%\), \(k = 33\) bis Woche 10 und \(q = 10\%\), \(k = 5\) ab Woche 11 (entsprechend 0,5 Zweitinfektionen pro Erkranktem). Gesamtanzahl der Infizierten (blau) auf der linken Achse, Neuinfektionen (rot) auf der rechten Achse. Bereits 6 Wochen (ab Woche 16) nach Inkrafttreten der wirksamen Maßnahmen ist die Krise im Wesentlichen überstanden.

Wie im vorigen Fall erreicht auch hier die Anzahl der Neuinfektionen in der 10. Woche ihr Maximum mit ca. 46.000. Danach sinkt die Anzahl der Neuinfektionen rapide (von Woche zu Woche etwa 50% weniger Neuinfektionen). Zum Zeitpunkt des Höchststands sind wieder etwa 70.000 Personen erkrankt. Die Gesamtanzahl der Infizierten bleibt nun aber schon spätestens ab der 16. Woche nach Ausbruch der Krise und nur 6 Wochen nach Verfügen der wirksamen Maßnahmen konstant unter 120.000. Die Krise kann derart im Wesentlichen innerhalb eines Quartals entschärft werden: Für das Gesundheitssystem, die Wirtschaft UND die Gesellschaft.

Ziel 3: 0,5 Zweitinfektionen / 1 Zweitinfektion

Auch für den Fall, dass es nicht gelingt, die Zweitinfektionen dauerhaft auf 0,5 zu halten und der Wert nach Aufheben der rigiden Maßnahmen z.B. ab der 20 Woche wieder auf etwa 1 steigt, darf die Krise i. W. als überwunden gelten. Die Anzahl der Neuinfektionen pro Woche kann nach aller Voraussicht auch mit dem höheren Zweitinfektionswert noch unter 100 oder zumindest im niedrigen 3-stelligen Bereich gehalten werden. Das ist ohne weiteres beherrschbar. Die entsprechende Kurve ist in Abb. 6 dargestellt, unterscheidet sich insgesamt aber kaum von der Darstellung in Abb. 5.

Abb. 6: Verlauf der Infektionen mit \(q = 10\%\), \(k = 33\) bis Woche 10 und \(q =10\%\), \(k = 5\) ab Woche 11 (entsprechend 0,5 Zweitinfektionen pro Erkranktem) sowie \(q = 10\%\), \(k = 10\) ab Woche 20 (entsprechend 1 Zweitinfektion pro Erkranktem). Gesamtanzahl der Infizierten (blau) auf der linken Achse, Neuinfektionen (rot) auf der rechten Achse. Die Anzahl der Neuinfektionen halbiert sich nach Woche 10 im Wochenrhythmus bis zur 20. Woche. Danach bleibt die Rate in etwa konstant bei bis zu einigen 100 oder darunter. Der genaue Wert hängt davon ab, wie lange und konsequent die rigiden Maßnahmen beibehalten werden. Und auch davon, wie die Zweitinfektionen pro Erkranktem in der Phase danach tatsächlich liegen. Auf jeden Fall müssen sie \(\le 1\) bleiben. Der Gesamtverlauf ist im Wesentlichen derselbe wie im Falle von Abb. 5 (man beachte die unterschiedliche Skalierung der rechten Achse).

Schluss und Ausblick

Die unbedingte Voraussetzung für das Gelingen ist:

  • Die Zweitinfektionsrate (im Modell das Produkt \(q \cdot k\)) muss dauerhaft auf Werte \(\le 1\) gedrückt werden. Dazu müssen entweder die Kontaktzahlen auf niedrigerem Niveau als bisher allgemein üblich gehalten und/oder das individuelle Ansteckungsrisiko durch dauerhaft hohe Hygienestandards („sozialverträgliches“ Husten, häufiges Händewaschen, auf Händeschütteln verzichten etc.) deutlich reduziert werden.

Sofern wir das entsprechend umsetzen und uns alle daran halten, ist sichergestellt, dass es nicht wieder zu einem exponentiellen Anstieg der Infektionszahlen und damit zu neuen Ausbreitungswellen kommt. Das ist erforderlich bis zur Zulassung und allgemeinen Verfügbarkeit eines Impfstoffs. Erst danach können wir wieder in „alte Verhaltensmuster“ zurückfallen. Wobei die Einhaltung höherer Hygienestandards auch nach der Überwindung der Krise nicht von Nachteil sein wird.

Entscheidend ist: Zunächst müssen wir die akut anstehenden drastischen Verhaltensregeln konsequent einhalten und die Einschränkungen geduldig hinnehmen. Dabei wird die Wirtschaft kurzfristig leiden, aber schon nach Überwindung des jetzt noch vor uns liegenden hohen Anstiegs an Neuinfektionen wird in 4 bis 6 Wochen ein durchaus normales Wirtschaftsleben mit einigen kleineren Einschränkungen wieder möglich sein. Die Alternative einer halbherzigen Umsetzung wäre ein dauerhaftes Stagnieren der Wirtschaft, weil immer wieder neue Ansteckungswellen drohen.


Anhang

Im Folgenden sind die Verläufe der Neuinfektionen und der Gesamtanzahl der Infizierten bei Zweitinfektionsraten von 2, 1,5, 1,2, und 1,1 dargestellt. Solche Verläufe sind kritisch und weisen auch bei kleinen Zweitinfektionsraten \(> 1\) einen exponentiellen Anstieg der Infektionszahlen auf. Werte von 1,1 oder 1,2 können allenfalls dabei helfen, Zeit zu gewinnen bis zur Zulassung eines Impfstoffs. Richtig ist dabei: Der Peak der Neuinfektionen wird weit in die Zukunft hinausgeschoben und abgeflacht (1 – 3 Jahre). Das hilft indes nur dem Gesundheitssystem, würde aber trotzdem erhebliche wirtschaftliche und soziale Einschränkungen nach sich ziehen. Bei längerer Dauer von nur halbherzigen Maßnahmen ist zu befürchten, dass bis dahin die Wirtschaft einen totalen Zusammenbruch erleidet. Deswegen führt an den oben skizzierten drastischen Maßnahmen kein Weg vorbei. Alles andere wäre wirtschaftlicher Selbstmord.

2 Zweitinfektionen

Abb. 7: Verlauf der Infektionen bei \(q = 10\%\), \(k = 20\) (entsprechend 2 Zweitinfektionen pro Erkranktem). Gesamtanzahl der Infizierten (blau) auf der linken Achse, Neuinfektionen (rot) auf der rechten Achse. Die Anzahl der Neuinfektionen erreicht in der 26. Woche ihr Maximum mit ca. 15,5 Mio. Zu diesem Zeitpunkt sind bereits 42 Mio. Einwohner infiziert. Die Gesamtanzahl der Infizierten bleibt nach der 32. Woche mit knapp 72 Mio. konstant. Am Ende bleiben nur 11 Mio. verschont.

1,5 Zweitinfektionen

Abb. 8: Verlauf der Infektionen bei \(q = 10\%\), \(k = 15\) (entsprechend 1,5 Zweitinfektionen pro Erkranktem). Gesamtanzahl der Infizierten (blau) auf der linken Achse, Neuinfektionen (rot) auf der rechten Achse. Die Anzahl der Neuinfektionen erreicht in der 22. Woche ihren Höchststand mit ca. 6 Mio. Dann sind bereits 28 Mio. Einwohner infiziert. Die Gesamtanzahl der Infizierten bleibt nach der 52. Woche mit ca. 51 Mio. konstant (61,5% der Bevölkerung). Am Ende bleiben 32 Mio. Einwohner verschont.

1,2 Zweitinfektionen

Abb. 9: Verlauf der Infektionen bei \(q = 10\%\), \(k = 12\) (entsprechend 1,2 Zweitinfektionen pro Erkranktem). Gesamtanzahl der Infizierten (blau) auf der linken Achse, Neuinfektionen (rot) auf der rechten Achse. Die Anzahl der Neuinfektionen erreicht in der 85. Woche ihr Maximum mit ca. 1,3 Mio. Bis dahin haben sich insgesamt ca. 14 Mio. Einwohner infiziert. Die Gesamtanzahl der Infizierten ändert sich nach zwei Jahren (ab der 104. Woche) kaum noch und verharrt bei ca. 27 Mio. (33% der Bevölkerung). Am Ende bleiben in diesem Fall 56 Mio. Einwohner verschont.

1,1 Zweitinfektionen

Abb. 10: Verlauf der Infektionen bei \(q = 10\%\), \(k = 11\) (entsprechend 1,1 Zweitinfektionen pro Erkranktem). Gesamtanzahl der Infizierten (blau) auf der linken Achse, Neuinfektionen (rot) auf der rechten Achse. Die Anzahl der Neuinfektionen erreicht in der 149. Woche ihren Höchststand mit ca. 365.000. Bis dahin haben sich insgesamt ca. 7,5 Mio. Einwohner infiziert. Die Gesamtanzahl der Infizierten ändert sich nach 4 Jahren (ab der 200. Woche) kaum noch und verharrt bei ca. 15 Mio. (18% der Bevölkerung). Am Ende bleiben in diesem Fall 68 Mio. Einwohner verschont.

Bin in einem Meeting!

Was hat ein neues «Virus» mit der Arbeitsproduktivität und  der
Finanzierung der Flüchtlingskrise  zu tun?

(fpa) München. Wie aus ungewöhnlich gut unterrichteten Kreisen verlautet, kommt das renommierte Institut für unvergleichliche Sozial- und Wirtschaftsforschung (IfuS) in einer zusammen mit dem Robert-Hunger-Institut (Berlin) erstellten, derzeit noch geheim gehaltenen Studie zu besorgniserregenden Erkenntnissen über die Ausbreitung eines gefährlichen Virus völlig neuen Typus. Bislang konnte das Virus noch nicht isoliert werden, man weiß aber bereits, dass es direkt auf bestimmte Gehirnregionen wirkt und offenbar die Wahrnehmung und Intelligenzleistung der Betroffenen beeinflusst. Möglicherweise, so die Studie, könne das Virus «gar eine Persönlichkeitsveränderung auslösen». Zur Inkubationszeit gibt es noch keine Erkenntnisse.

Die Forscher vertreten in ihren brisanten Untersuchungen die Ansicht, das Virus sei «immateriell» und stecke, wie es unser Informant doppeldeutig ausdrückte, «nur in den Köpfen» der Infizierten. Auf welche Weise es dem Virus dennoch gelingt, messbare Veränderungen zu induzieren bleibt im Einzelnen noch unklar. Die entscheidende Rolle bei der Ansteckung spielt offenbar eine Art neuronaler Reizüberflutung, ausgelöst durch einen lange andauernden Informationsstrom hoher Dichte (information overload) wie er z. B. bei häufigen Besprechungen oder längerem Internetsurfen nicht eben selten vorkommt. Die permanente «Informationsüberreizung» führt über kurz oder lang zu einer Reduzierung der Synapsenempfindlichkeit. Aufgrund dieses Abstumpfungsprozesses gelangen dezidierte Informationen erst nach mehrmaliger Wiederholung oder in ungebührlicher Deutlichkeit formuliert über die synaptische Reizschwelle. Dabei werden, wie die Forscher ferner feststellten, ungewöhnlich große Mengen an Endorphinen freigesetzt, bekanntlich die «Glücksdroge» unseres Gehirns. In einem fortgeschrittenen Stadium stellt sich daher eine Abhängigkeit der Betroffenen ein, verbunden mit dem unstillbaren Drang nach immer mehr Information. Dies geht – und dies ist das eigentlich Gefährliche – einher mit einer Lähmung der Aktionsfähigkeit von hoher Signifikanz.

Voll entwickelt zeigt sich nach Meinung der Forscher das typische Bild einer Abhängigkeit. So geht den Betroffenen z.B. die Einsichtsfähigkeit in die eigene Malaise völlig ab. Sie lechzen förmlich nach Information ohne jedoch das Erfahrene adäquat verarbeiten und in Handlungen umsetzen zu können. Absolut neu und unerwartet ist der virale Auslösungsfaktor. Es handelt sich offenbar um den ersten Fall eines reinen «Brainware»-Virus (BW-V.), nicht unähnlich den von Computersystemen her bekannten und teilweise gut erforschten Softwareviren. Wie in der Studie ferner ausgeführt wird, manifestiert sich die von den Forschern «Unknown Information Deficiency Syndrome» (UIDS) getaufte Erkrankung nach außen hin in zwei Hauptformen: im privaten Umfeld vorwiegend als Isolation und scheinbare Erstarrung vor dem heimischen Computer, dem Tablet oder dem Smartphone(«Iso-Monotonismus»), im beruflichen Umfeld dagegen zeigen die Betroffenen einen übersteigerten Hang zur Teilnahme an weitgehend nutzlosen Besprechungen («Meetingismus», in der schlimmeren Form «Hyper-Meetingismus»). Nicht zu verwechseln übrigens mit der gleichfalls ansteckenden, üblicherweise aber harmlos verlaufenden «Meetingitis». Indessen weisen die Forscher darauf hin, dass eine nicht behandelte Meetingitis in Einzelfällen zum Meetingismus ausarten kann.

Wie in der Studie ferner ausgeführt wird, leidet heute schon jeder zweite Angestellte an Meetingismus. Die Dunkelziffer ist hoch. Insbesondere in den großen Firmen und internationalen Konzernen grassiert offenbar das Virus. Subjektiv fühlen sich die Betroffenen immer unterinformiert und schieben daher die anstehenden Arbeiten auf bis zum nächsten Informationszufluss (das nächste Meeting), nur um dann wieder Defizite zu erkennen und erneut abzuwarten. Weiter und weiter dreht sich die Spirale. Für eigenes Nachdenken und Problemlösen ist einerseits immer weniger Zeit, andererseits wird es zunehmend als unerwünscht erfahren, weil in diesem Prozess das unmittelbare Gruppenkorrektiv fehlt.

Nach Schätzungen von IfuS gehen der Wirtschaft jährlich zweistellige Milliardenbeträge durch ineffektive und überflüssige Besprechungen verloren. In vorab informierten Wirtschaftskreisen befürchtet man, dass in manchen Branchen bereits mehr als 100% (!) aller Beschäftigten im nicht-produktiven Bereich infiziert sein könnten. Das Problem hierbei, wenn alle infiziert sind, fällt die Diagnose umso schwerer und wird die Heilung fast unmöglich, denn: resistent sind nur wenige. «Hier tickt möglicherweise eine Zeitbombe mit unabsehbaren Konsequenzen für die Wirtschaft», meinte der dazu von uns vertraulich befragte Pressesprecher des VDU, Dr. Rainer B. Lötzinn, unter Hinweis auf die noch ungeklärte Frage zur Inkubationszeit in aller Deutlichkeit. Und weiter: «Wir benötigen dringend ein effektives Behandlungsverfahren, der Standort ist in ernster Gefahr. Die Politik muss hier Sofortmaßnahmen ergreifen und gegensteuern».

Offenkundig fällt dieser Appell bei Regierungspolitikern durchaus auf fruchtbaren Boden. Ob im Sinne der Wirtschaft, darf indes bezweifelt werden. Zwar wollte sich niemand offen dazu äußern, doch hat der Bundesfinanzminister wohl schon entsprechende Pläne zu einer möglichen Besteuerung von Besprechungen in der Schublade. Ein ungenannt bleiben wollender hoher Beamter deutete an, man denke an eine zehnprozentige Erhebung auf die zeitanteiligen Bruttobesprechungsgesamtkosten pro Besprechungsteilnehmer, das könne damit sehr einfach und mit nur geringem Verwaltungsaufwand geregelt werden. Gemeinnützige Organisationen sollen nur mit einem Satz von 2,83% belastet werden (Anmerkung der Redaktion: Dieser eigenartig anmutende Wert ist das Ergebnis eines zwischen dem Finanzministerium und den Dachverbänden im Stillen verhandelten Kompromisses). Die öffentliche Verwaltung soll nach diesen Plänen von der Erhebung freigestellt werden. Die Steuer wäre jeweils zur Hälfte von den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern zu entrichten, um die Wirtschaft nicht einseitig zu belasten. Bezugsgröße solle aber nur das reguläre Monatsgehalt der Besprechungsteilnehmer sein, also ausschließlich eventueller Gratifikationen. Denn man wolle gerade die Leistungsträger nicht über Gebühr belasten und andererseits auch die Nachfrage nicht dämpfen.

Die Erfassung der Vielzahl kleinerer Besprechungen macht derweil noch Probleme. Man könne sich hier auch eine pauschale Abgeltung vorstellen, heißt es dazu. Im Übrigen müsse diese «Ökonomie-Steuer» (neudeutsch abgekürzt Eco-Steuer [engl. «Economy»] in Abgrenzung zur Öko-Steuer) von den Unternehmen als positives Lenkungsinstrument verstanden und eingesetzt werden, da die Personalproduktivität bei entsprechender Verringerung der Besprechungshäufigkeit überproportional steige. Im Gegenzug wäre es dabei denkbar, die aus dieser Produktivitätssteigerung erzielten Gewinne mittelfristig geringer zu besteuern und so weiteres investives Kapital den Unternehmen zu belassen. Als Nebeneffekt trüge dies zu einer Verstetigung der Steuereinnahmen bei. Insgesamt werde damit die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft nachhaltig gestärkt und das Steueraufkommen langfristig auf einem erhöhten Niveau stabilisiert, wörtlich, «ein Selbstläufer».

Wie weiter aus Kreisen des Finanzministeriums verlautete, können mit den erwarteten Steuermehreinnahmen die durch die Flüchtlingskrise auf uns zukommenden Ausgabensteigerungen ohne Neuverschuldung voll finanziert werden. «Diesbezüglich ist die Kuh ist vom Eis, wir wirtschaften weiter mit schwarzen Zahlen», meinte der Beamte. Warnende Stimmen kommen unterdessen von den Grünen und den Linken: «Öffentliche Verwaltung und Politik dürfen von der Eco-Steuer nicht freigestellt werden, das ist dem Bürger nicht vermittelbar». Unabhängig davon kündigte der Bund der Steuerzahler bereits vorsorglich Verfassungsbeschwerde an, «falls der Fiskus sich hier einmal mehr schamlos beim Bürger und der Wirtschaft bedienen sollte».

Mittlerweile wächst auch in der Koalition die Erkenntnis, dass die Freistellung der öffentlichen Verwaltung den erwarteten Effekt drastisch reduzieren oder gar ins Negative verkehren könnte. Als Kompromisslösung denkt man daher an einen reduzierten Steuersatz von 3,5% für Kommunen und 4,75% für Landes- und Bundesbehörden.  Eine Sonderregelung haben sich jedenfalls die Fraktionen des Bundestages ausbedungen: Fraktionssitzungen und Beratungen der parlamentarischen Ausschüsse sollen grundsätzlich von der neuen Steuer befreit sein. Kritische Stimmen, nachdem dies in der Gesamtschau dann doch zu einigen Sonder- und Ausnahmeregelungen führe, kontern die finanzpolitischen Sprecher der Parteien mit dem Hinweis auf die im Grundsatz geltende 10%-Regel, alles andere müsse ohnehin im Zuge der Durchführungsbestimmungen detailliert werden. Eine Arbeitsgruppe von Spezialisten der Fraktionen sei bereits damit beauftragt, die weiteren Einzelheiten auszuarbeiten. Das Regelwerk werde den angestrebten Umfang von maximal 200 Druckseiten DIN A 4 allenfalls leicht überschreiten. Dabei hat man sich das Ziel gesetzt, nicht mehr als 67 Ausnahmeregelungen zuzulassen. Warum gerade 67? Ganz einfach: 4 Ausnahmen pro Bundesland, das macht zunächst einmal 64. Für die Länder über 10 Mio. Einwohner (NRW, Bayern, Baden-Württemberg) darf es eine Ausnahme mehr geben, so kommt man auf 67.

Unklar bleibt bei alledem, inwieweit diese Maßnahmen tatsächlich geeignet sind, den weit verbreiteten Meetingismus einzudämmen. Die Wissenschaftler vom Robert-Hunger-Institut sind da sehr skeptisch und kritisieren, dass auf diese Weise letztlich nur an den Symptomen herumgedoktert werde. Die außerberufliche Spielart des Virus dürfe in ihrer Gefährlichkeit nicht unterschätzt werden. Ein Heilung sei auf dieser Basis überhaupt nicht möglich, und weiter der bitterböse Kommentar, «unverhohlen gar nicht gewünscht». Augenscheinlich verkenne man in der Politik auch die epidemiologische Komponente des Problems. Man wisse einfach noch zu wenig über das Virus, ein wirksames Gegenmittel, z.B. ein Impfstoff, sei daher noch in weiter Ferne. Es bedürfe weiterer Studien und vieler Besprechungen. Zusammen mit den Kollegen vom IfuS fordern sie daher ein groß angelegtes Forschungsprogramm und die Gründung eines Arbeitskreises «Meetingismus» mit mindestens wöchentlichen Sitzungen zum Zwecke des Informationsaustausches. Gleichzeitig regen sie ein Internetforum zum Thema an. Meetingismus und Iso-Monotonismus seien nur zwei Erscheinungsformen der gleichen Erkrankung, es müsse daher auch den privat Betroffenen aus dem vertrauten heimischen Umfeld heraus Gelegenheit zur Information gegeben werden. Im weiteren könne man auch an Selbsthilfegruppen und -foren denken. Anonymität sei dabei nicht nötig, da ohnehin fast jeder direkt oder indirekt in Mitleidenschaft gezogen ist. Einen passenden Namensvorschlag haben die Wissenschaftler ebenfalls parat: «Bekannte Meetingismus-Monotonismus Watchers», kurz BMMW (Anmerkung der Redaktion: die Namensähnlichkeit mit einem global agierenden Automobilhersteller besteht rein zufällig).