Was hat ein neues «Virus» mit der Arbeitsproduktivität und der
Finanzierung der Flüchtlingskrise zu tun?
(fpa) München. Wie aus ungewöhnlich gut unterrichteten Kreisen verlautet, kommt das renommierte Institut für unvergleichliche Sozial- und Wirtschaftsforschung (IfuS) in einer zusammen mit dem Robert-Hunger-Institut (Berlin) erstellten, derzeit noch geheim gehaltenen Studie zu besorgniserregenden Erkenntnissen über die Ausbreitung eines gefährlichen Virus völlig neuen Typus. Bislang konnte das Virus noch nicht isoliert werden, man weiß aber bereits, dass es direkt auf bestimmte Gehirnregionen wirkt und offenbar die Wahrnehmung und Intelligenzleistung der Betroffenen beeinflusst. Möglicherweise, so die Studie, könne das Virus «gar eine Persönlichkeitsveränderung auslösen». Zur Inkubationszeit gibt es noch keine Erkenntnisse.
Die Forscher vertreten in ihren brisanten Untersuchungen die Ansicht, das Virus sei «immateriell» und stecke, wie es unser Informant doppeldeutig ausdrückte, «nur in den Köpfen» der Infizierten. Auf welche Weise es dem Virus dennoch gelingt, messbare Veränderungen zu induzieren bleibt im Einzelnen noch unklar. Die entscheidende Rolle bei der Ansteckung spielt offenbar eine Art neuronaler Reizüberflutung, ausgelöst durch einen lange andauernden Informationsstrom hoher Dichte (information overload) wie er z. B. bei häufigen Besprechungen oder längerem Internetsurfen nicht eben selten vorkommt. Die permanente «Informationsüberreizung» führt über kurz oder lang zu einer Reduzierung der Synapsenempfindlichkeit. Aufgrund dieses Abstumpfungsprozesses gelangen dezidierte Informationen erst nach mehrmaliger Wiederholung oder in ungebührlicher Deutlichkeit formuliert über die synaptische Reizschwelle. Dabei werden, wie die Forscher ferner feststellten, ungewöhnlich große Mengen an Endorphinen freigesetzt, bekanntlich die «Glücksdroge» unseres Gehirns. In einem fortgeschrittenen Stadium stellt sich daher eine Abhängigkeit der Betroffenen ein, verbunden mit dem unstillbaren Drang nach immer mehr Information. Dies geht – und dies ist das eigentlich Gefährliche – einher mit einer Lähmung der Aktionsfähigkeit von hoher Signifikanz.
Voll entwickelt zeigt sich nach Meinung der Forscher das typische Bild einer Abhängigkeit. So geht den Betroffenen z.B. die Einsichtsfähigkeit in die eigene Malaise völlig ab. Sie lechzen förmlich nach Information ohne jedoch das Erfahrene adäquat verarbeiten und in Handlungen umsetzen zu können. Absolut neu und unerwartet ist der virale Auslösungsfaktor. Es handelt sich offenbar um den ersten Fall eines reinen «Brainware»-Virus (BW-V.), nicht unähnlich den von Computersystemen her bekannten und teilweise gut erforschten Softwareviren. Wie in der Studie ferner ausgeführt wird, manifestiert sich die von den Forschern «Unknown Information Deficiency Syndrome» (UIDS) getaufte Erkrankung nach außen hin in zwei Hauptformen: im privaten Umfeld vorwiegend als Isolation und scheinbare Erstarrung vor dem heimischen Computer, dem Tablet oder dem Smartphone(«Iso-Monotonismus»), im beruflichen Umfeld dagegen zeigen die Betroffenen einen übersteigerten Hang zur Teilnahme an weitgehend nutzlosen Besprechungen («Meetingismus», in der schlimmeren Form «Hyper-Meetingismus»). Nicht zu verwechseln übrigens mit der gleichfalls ansteckenden, üblicherweise aber harmlos verlaufenden «Meetingitis». Indessen weisen die Forscher darauf hin, dass eine nicht behandelte Meetingitis in Einzelfällen zum Meetingismus ausarten kann.
Wie in der Studie ferner ausgeführt wird, leidet heute schon jeder zweite Angestellte an Meetingismus. Die Dunkelziffer ist hoch. Insbesondere in den großen Firmen und internationalen Konzernen grassiert offenbar das Virus. Subjektiv fühlen sich die Betroffenen immer unterinformiert und schieben daher die anstehenden Arbeiten auf bis zum nächsten Informationszufluss (das nächste Meeting), nur um dann wieder Defizite zu erkennen und erneut abzuwarten. Weiter und weiter dreht sich die Spirale. Für eigenes Nachdenken und Problemlösen ist einerseits immer weniger Zeit, andererseits wird es zunehmend als unerwünscht erfahren, weil in diesem Prozess das unmittelbare Gruppenkorrektiv fehlt.
Nach Schätzungen von IfuS gehen der Wirtschaft jährlich zweistellige Milliardenbeträge durch ineffektive und überflüssige Besprechungen verloren. In vorab informierten Wirtschaftskreisen befürchtet man, dass in manchen Branchen bereits mehr als 100% (!) aller Beschäftigten im nicht-produktiven Bereich infiziert sein könnten. Das Problem hierbei, wenn alle infiziert sind, fällt die Diagnose umso schwerer und wird die Heilung fast unmöglich, denn: resistent sind nur wenige. «Hier tickt möglicherweise eine Zeitbombe mit unabsehbaren Konsequenzen für die Wirtschaft», meinte der dazu von uns vertraulich befragte Pressesprecher des VDU, Dr. Rainer B. Lötzinn, unter Hinweis auf die noch ungeklärte Frage zur Inkubationszeit in aller Deutlichkeit. Und weiter: «Wir benötigen dringend ein effektives Behandlungsverfahren, der Standort ist in ernster Gefahr. Die Politik muss hier Sofortmaßnahmen ergreifen und gegensteuern».
Offenkundig fällt dieser Appell bei Regierungspolitikern durchaus auf fruchtbaren Boden. Ob im Sinne der Wirtschaft, darf indes bezweifelt werden. Zwar wollte sich niemand offen dazu äußern, doch hat der Bundesfinanzminister wohl schon entsprechende Pläne zu einer möglichen Besteuerung von Besprechungen in der Schublade. Ein ungenannt bleiben wollender hoher Beamter deutete an, man denke an eine zehnprozentige Erhebung auf die zeitanteiligen Bruttobesprechungsgesamtkosten pro Besprechungsteilnehmer, das könne damit sehr einfach und mit nur geringem Verwaltungsaufwand geregelt werden. Gemeinnützige Organisationen sollen nur mit einem Satz von 2,83% belastet werden (Anmerkung der Redaktion: Dieser eigenartig anmutende Wert ist das Ergebnis eines zwischen dem Finanzministerium und den Dachverbänden im Stillen verhandelten Kompromisses). Die öffentliche Verwaltung soll nach diesen Plänen von der Erhebung freigestellt werden. Die Steuer wäre jeweils zur Hälfte von den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern zu entrichten, um die Wirtschaft nicht einseitig zu belasten. Bezugsgröße solle aber nur das reguläre Monatsgehalt der Besprechungsteilnehmer sein, also ausschließlich eventueller Gratifikationen. Denn man wolle gerade die Leistungsträger nicht über Gebühr belasten und andererseits auch die Nachfrage nicht dämpfen.
Die Erfassung der Vielzahl kleinerer Besprechungen macht derweil noch Probleme. Man könne sich hier auch eine pauschale Abgeltung vorstellen, heißt es dazu. Im Übrigen müsse diese «Ökonomie-Steuer» (neudeutsch abgekürzt Eco-Steuer [engl. «Economy»] in Abgrenzung zur Öko-Steuer) von den Unternehmen als positives Lenkungsinstrument verstanden und eingesetzt werden, da die Personalproduktivität bei entsprechender Verringerung der Besprechungshäufigkeit überproportional steige. Im Gegenzug wäre es dabei denkbar, die aus dieser Produktivitätssteigerung erzielten Gewinne mittelfristig geringer zu besteuern und so weiteres investives Kapital den Unternehmen zu belassen. Als Nebeneffekt trüge dies zu einer Verstetigung der Steuereinnahmen bei. Insgesamt werde damit die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft nachhaltig gestärkt und das Steueraufkommen langfristig auf einem erhöhten Niveau stabilisiert, wörtlich, «ein Selbstläufer».
Wie weiter aus Kreisen des Finanzministeriums verlautete, können mit den erwarteten Steuermehreinnahmen die durch die Flüchtlingskrise auf uns zukommenden Ausgabensteigerungen ohne Neuverschuldung voll finanziert werden. «Diesbezüglich ist die Kuh ist vom Eis, wir wirtschaften weiter mit schwarzen Zahlen», meinte der Beamte. Warnende Stimmen kommen unterdessen von den Grünen und den Linken: «Öffentliche Verwaltung und Politik dürfen von der Eco-Steuer nicht freigestellt werden, das ist dem Bürger nicht vermittelbar». Unabhängig davon kündigte der Bund der Steuerzahler bereits vorsorglich Verfassungsbeschwerde an, «falls der Fiskus sich hier einmal mehr schamlos beim Bürger und der Wirtschaft bedienen sollte».
Mittlerweile wächst auch in der Koalition die Erkenntnis, dass die Freistellung der öffentlichen Verwaltung den erwarteten Effekt drastisch reduzieren oder gar ins Negative verkehren könnte. Als Kompromisslösung denkt man daher an einen reduzierten Steuersatz von 3,5% für Kommunen und 4,75% für Landes- und Bundesbehörden. Eine Sonderregelung haben sich jedenfalls die Fraktionen des Bundestages ausbedungen: Fraktionssitzungen und Beratungen der parlamentarischen Ausschüsse sollen grundsätzlich von der neuen Steuer befreit sein. Kritische Stimmen, nachdem dies in der Gesamtschau dann doch zu einigen Sonder- und Ausnahmeregelungen führe, kontern die finanzpolitischen Sprecher der Parteien mit dem Hinweis auf die im Grundsatz geltende 10%-Regel, alles andere müsse ohnehin im Zuge der Durchführungsbestimmungen detailliert werden. Eine Arbeitsgruppe von Spezialisten der Fraktionen sei bereits damit beauftragt, die weiteren Einzelheiten auszuarbeiten. Das Regelwerk werde den angestrebten Umfang von maximal 200 Druckseiten DIN A 4 allenfalls leicht überschreiten. Dabei hat man sich das Ziel gesetzt, nicht mehr als 67 Ausnahmeregelungen zuzulassen. Warum gerade 67? Ganz einfach: 4 Ausnahmen pro Bundesland, das macht zunächst einmal 64. Für die Länder über 10 Mio. Einwohner (NRW, Bayern, Baden-Württemberg) darf es eine Ausnahme mehr geben, so kommt man auf 67.
Unklar bleibt bei alledem, inwieweit diese Maßnahmen tatsächlich geeignet sind, den weit verbreiteten Meetingismus einzudämmen. Die Wissenschaftler vom Robert-Hunger-Institut sind da sehr skeptisch und kritisieren, dass auf diese Weise letztlich nur an den Symptomen herumgedoktert werde. Die außerberufliche Spielart des Virus dürfe in ihrer Gefährlichkeit nicht unterschätzt werden. Ein Heilung sei auf dieser Basis überhaupt nicht möglich, und weiter der bitterböse Kommentar, «unverhohlen gar nicht gewünscht». Augenscheinlich verkenne man in der Politik auch die epidemiologische Komponente des Problems. Man wisse einfach noch zu wenig über das Virus, ein wirksames Gegenmittel, z.B. ein Impfstoff, sei daher noch in weiter Ferne. Es bedürfe weiterer Studien und vieler Besprechungen. Zusammen mit den Kollegen vom IfuS fordern sie daher ein groß angelegtes Forschungsprogramm und die Gründung eines Arbeitskreises «Meetingismus» mit mindestens wöchentlichen Sitzungen zum Zwecke des Informationsaustausches. Gleichzeitig regen sie ein Internetforum zum Thema an. Meetingismus und Iso-Monotonismus seien nur zwei Erscheinungsformen der gleichen Erkrankung, es müsse daher auch den privat Betroffenen aus dem vertrauten heimischen Umfeld heraus Gelegenheit zur Information gegeben werden. Im weiteren könne man auch an Selbsthilfegruppen und -foren denken. Anonymität sei dabei nicht nötig, da ohnehin fast jeder direkt oder indirekt in Mitleidenschaft gezogen ist. Einen passenden Namensvorschlag haben die Wissenschaftler ebenfalls parat: «Bekannte Meetingismus-Monotonismus Watchers», kurz BMMW (Anmerkung der Redaktion: die Namensähnlichkeit mit einem global agierenden Automobilhersteller besteht rein zufällig).