Einführung
Im Beitrag wird die Frage beleuchtet, inwieweit auf der Basis von Windkraft eine verlässliche Versorgung mit Strom hergestellt werden kann. Wir konzentrieren uns dabei auf das grundsätzliche Potential in der Erzeugung von Windstrom und blenden die praktisch bestehenden Limitierungen (minimale Windgeschwindigkeit unterhalb derer kein Strom produziert wird, begrenzter Erntefaktor aufgrund physikalischer Randbedingungen, Abschaltung bei zu starkem Wind, sonstige Verluste) aus.
Zunächst zusammenfassend die verwendeten Begriffe und Definitionen:
(1) 
Die Verteilung der Windgeschwindigkeit
Der Wind gehorcht der Weibullverteilung mit den Parametern
und
. Der letztgenannte Wert heißt Formfaktor. Für die vorherrschenden Windverhältnisse in Mitteleuropa kann man den Formfaktor
ansetzen. In Süddeutschland liegt der Wert etwas darunter, an der Küste etwas darüber bei bis zu
.
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Die Formel gibt die Wahrscheinlichkeit dafür an, dass die tatsächliche Windgeschwindigkeit
zu einem willkürlich gesetzten Zeitpunkt
kleiner als die definierte Geschwindigkeit
ist.
In Abb. 1 sind typische Graphen für die Verteilung der Windgeschwindigkeit bei unterschiedlichen Formfaktoren dargestellt.

Abbildung 1: Verteilung der Windgeschwindigkeit bei unterschiedlichen Formfaktoren
.
Bei gegebenen Parametern bestimmt sich die mittlere Windgeschwindigkeit zu
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Somit kann man bei bekannter mittlerer Windgeschwindigkeit umgekehrt auch den Parameter
errechnen.
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Die Verteilung der Windleistung
Für ein ideales Windrad ergibt sich die resultierende Windstromleistung
aus der Nennleistung
und der Nenn-Windgeschwindigkeit
gemäß
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Demnach lässt sich aus der abgegebenen Leistung umgekehrt die Windgeschwindigkeit bestimmen.
(6) 
Auf dieser Basis können wir nun die Verteilung der Leistungsabgabe folgendermaßen beschreiben:
(7) 
Die produzierte Windstromleistung ist demnach Weibull-verteilt mit dem Formfaktor
. Abbildung 2 zeigt Beispiele für die Verteilung der Leistungsabgabe bei Formfaktoren um
.

Abbildung 2: Verteilung der Leistungsabgabe bei unterschiedlichen Formfaktoren
. Man sieht, dass die Leistung überwiegend bei einem Bruchteil der Normleistung (also der Nennleistung) abgegeben wird.
Generische Darstellung der Leistungsverteilung
Der Erwartungswert der Leistung bestimmt sich zu
(8) 
Für den Formfaktor
erhalten wir die Vereinfachung:
(9) 
Wenn
gesetzt wird, dann gibt die obige Formel die Wahrscheinlichkeit des Ereignisses
wieder. Bei einer Erhöhung der Windstromproduktion um den Faktor
ist folglich
die Wahrscheinlichkeit, dass weniger Windstrom als
produziert wird. Das ist demnach das Ereignis
. Eingesetzt in Formel (7) erhalten wir
(10) 
Im Ergebnis ist daher die Wahrscheinlichkeit des Ereignisses
unabhängig von den physikalischen Randbedingungen wie z.B. der mittleren Windgeschwindigkeit und der Nennleistung des Windrads. Allein entscheidend ist das Verhältnis zwischen der produzierten Windleistung und dem Strombedarf, also dem Produktionsfaktor
.
Für den Formfaktor
folgt der unmittelbar auswertbare Zusammenhang:
(11) 
Analyse zum Versorgungsgrad
Der Versorgungsgrad
ist das Verhältnis zwischen dem auf einen Zeitpunkt
bezogenen Leistungsangebot und dem entsprechenden Leistungsbedarf. Formal also
. Wenn nun, wie oben, die Windstromproduktion um den Faktor
erhöht und
gesetzt wird, dann ist das Ereignis
identisch mit
. Daher erhalten wir die von der Windgeschwindigkeit und der induzierten Windleistung formal unabhängige Darstellung des Versorgungsgrads in Termen des Produktionsfaktors
.
(12) ![]()
bzw.
(13) ![]()
Bezogen auf einen vorgegebenen Versorgungsgrad
statt 1 ergibt sich
(14) ![]()
bzw.
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Wir haben nun einen vollständigen Überblick über die erzielbaren Versorgungsgrade in Abhängigkeit von der Windstromproduktion in Einheiten des Strombedarfs. Wir müssen also nicht konkrete Windgeschwindigkeiten oder Leistungsfaktoren betrachten und können demgemäß grundsätzliche Aussagen zur Versorgungssicherheit bzw. zum Versorgungsrisiko ohne nähere Kenntnis der Gegebenheiten am Aufstellungsort treffen. Wir müssen lediglich die Verteilung der Windgeschwindigkeiten kennen, genauer, den Formfaktor
der entsprechenden Weibullverteilung.
Versorgungssicherheit und Versorgungsrisiko
Die resultierenden graphischen Verläufe für die Versorgungssicherheit
und das Versorgungsrisiko
bei unterschiedlichen Formfaktoren
sind in den Abbildungen 3 und 4 dargestellt.

Abbildung 3: Versorgungsrisiko bei unterschiedlichen Formfaktoren
.

Abbildung 4: Versorgungssicherheit bei unterschiedlichen Formfaktoren
.
Die tatsächliche Windverteilung in Deutschland gehorcht näherungsweise der Weibullverteilung mit dem Formfaktor
. Für die grundsätzlichen Aussagen reicht es daher aus, diesen Formfaktor zu betrachten.
Nach Formel (13) bestimmt sich das Versorgungsrisiko zu
(16) 
und entsprechend die Versorgungssicherheit
(17) 

Abbildung 5: Versorgungsrisiko bei einem Formfaktor von
.

Abbildung 6: Versorgungssicherheit bei einem Formfaktor von
.
Die Graphen in Abb. 5 und Abb. 6 zeigen das theoretische Versorgungsrisiko und entsprechend die Versorgungssicherheit aus der Produktion von Windstrom unter idealen Bedingungen (verlustfrei, 100-prozentige Verfügbarkeit, keine Abschaltung) als Wahrscheinlichkeitsverteilung. Auf der x-Achse ist der Umfang der Windstromproduktion in Vielfachen des Strombedarfs (Produktionsfaktor q) aufgetragen. Die y-Achse in Abb. 5 zeigt das theoretische Versorgungsrisiko und die y-Achse in Abb. 6 die resultierende Versorgungssicherheit als Funktion des Produktionsfaktors q.
Aufgrund der Herleitung erkennen wir, dass die theoretische Versorgungssicherheit und entsprechend auch das Versorgungsrisiko unmittelbar aus dem Verhältnis zwischen der Gesamtproduktion an Windstrom und dem jeweiligen Bedarf, also dem Produktionsfaktor q abgeleitet werden kann.
Einige Zahlenbeispiele: Wenn der Produktionsfaktor
ist (also genauso viel Strom produziert wird, wie im Mittel benötigt wird), dann liegt die Versorgungssicherheit bei 0,3 (= 30 %) und das Versorgungsrisiko bei 0,7 (= 70 %). Vielfach wird diese Situation bereits als „Autarkie“ bezeichnet, obwohl es eigentlich nur „bilanzielle Autarkie“ ist und man tatsächlich in den überwiegenden Zeitabschnitten eines Jahres auf externe Stromlieferungen angewiesen ist.
Sofern der Produktionsfaktor nur bei
liegt, dann erhalten wir eine Versorgungssicherheit von 0,15 (= 15 %) und ein Versorgungsrisiko von 0,85 (= 85 %). Wenn im Jahresverlauf summarisch doppelt so viel Strom als benötigt produziert (Produktionsfaktor
), so ergibt sich eine theoretische Versorgungssicherheit von 0,47 (= 47 %) und ein Versorgungsrisiko von 0,53 (= 53 %) .
Man entnimmt den Graphen, dass die theoretische Versorgungssicherheit mit wachsendem Produktionsfaktor zunächst schnell steigt und das Versorgungsrisiko entsprechend sinkt. Allerdings ist der Aufwand für eine deutliche Reduzierung des Versorgungsrisikos am Ende doch sehr hoch: Selbst bei einem Produktionsfaktor von
liegt das Versorgungsrisiko immer noch bei 0,23 (= 23 %), also Versorgungssicherheit 0,77 (= 77 %). Und sogar bei
, wenn also der in der Jahressumme benötigte Windstrom den Bedarf um den Faktor 100 übersteigt – was ja in der Praxis überhaupt nicht finanzierbar ist – bleibt das Versorgungsrisiko bei 0,055 (= 5,5 %). Wir erhalten also lediglich eine Versorgungssicherheit 0,955 (= 95,5 %). Trotz des utopisch hohen Aufwandes wäre zeitanteilig an 16 Tagen eines Jahres die Stromversorgung nicht gewährleistet.
Investitionseffizienz
Es ist unmittelbar einleuchtend, dass sich die Investitionskosten proportional mit dem Produktionsfaktor erhöhen oder erniedrigen. Das Verhältnis zwischen der erreichten Versorgungssicherheit
und dem Produktionsfaktor
ist daher ein Maß für die Investitionseffizienz.
Nun kann man fragen, bei welchem Produktionsfaktor und welcher Versorgungssicherheit der Quotient aus beiden Werten sein Maximum annimmt und damit zur größtmöglichen Investitionseffizienz führt?
In Abbildung 7 sind die Verläufe des Quotienten Versorgungssicherheit / Produktionsfaktor für die Formfaktoren
dargestellt.

Abbildung 7: Quotient Versorgungssicherheit / Produktionsfaktor für die Formfaktoren
. Beispiel: Für den Formfaktor
erhalten wir bei
einen Quotienten von
und somit eine Versorgungssicherheit von
. Wenn nun der Produktionsfaktor auf
erhöht wird, ist der Quotient
und die Versorgungssicherheit
, d.h., die Versorgungssicherheit steigt überproportional mit dem Produktionsfaktor.
Der Quotient Versorgungssicherheit / Produktionsfaktor erreicht an einem bestimmten Wert
für den Produktionsfaktor sein Maximum. Diesen Wert bestimmt man zu
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Für die Herleitung s. Versorgungssicherheit mit Windstrom – eine theoretische Analyse | sumymus.
Im Falle des Formfaktors
bekommen wir z.B.
(19) 
Aus dem Vorstehenden entnimmt man, dass die Investitionseffizienz zunächst einmal ansteigt und dann nach Erreichen eines Maximums – in Abhängigkeit vom Formfaktor
– wieder abfällt. Für
werden die jeweiligen Maxima mit Effizienzwerten von
bei Produktionsfaktoren
erreicht. Bei größeren Produktionsfaktoren ist die Investitionseffizienz in jedem Falle geringer.
Man erhält daher bei Erhöhung des Produktionsfaktors in der Relation einen immer geringeren Zuwachs an Versorgungssicherheit. Bei
sind das z.B. die Produktionsfaktoren
(s. Abb. 7, rechts des Maximums der blauen Kurve). Bei ausschließlicher Betrachtung der Windstromproduktion und ohne die Berücksichtigung von (teuren) Speichern ist daher der Ausbau der Windkraft wesentlich über die Grenze
hinaus zumindest ineffizient.
Realitätsbezug
Natürlich wird man in der Praxis nicht ausschließlich auf die Stromversorgung mit Windkraft bauen und daneben auch andere Erneuerbare wie z.B. Solarstrom oder Biomasse miteinbeziehen. Ist dann die obige Überlegung obsolet und die Versorgungssicherheit in Summe doch zu gewährleisten? Leider nein! Es bleibt die grundsätzliche Problematik der Wetterabhängigkeit. Wenn wir z.B. annehmen, dass 50 % des Bedarfs aus sicheren Quellen kommen (was dann allerdings Photovoltaik ausschließen würde) und damit nur die restlichen 50 % über die Windkraft erzeugt werden müssen, dann laufen wir am Ende auf dieselbe Problematik zu, nur eben mit einem graduell etwas reduziertem Risiko. Statt eines Versorgungsrisikos von 60 % hätte man dann z.B. „nur“ ein Risiko von 30 %. Die erforderliche Versorgungssicherheit von 99,9 % und höher ist auf diesem Wege – also ohne Importe, Speicher oder Backup-Kraftwerke – nicht erreichbar.
Der Artikel zur Versorgungssicherheit mit Windstrom bietet eine tiefgehende, mathematisch fundierte Analyse der Herausforderungen und Potenziale der Windkraft als zuverlässige Stromquelle. Dabei wird klar, dass Windenergie unter idealen Bedingungen, wie einer kontinuierlichen Windversorgung ohne Ausfälle oder technische Einschränkungen, durchaus als nennenswerter Bestandteil einer Energieversorgung in der Zukunft betrachtet werden kann. Dennoch wird auch deutlich, dass die theoretischen Annahmen in der Praxis nicht ohne weiteres umsetzbar sind.
Positiv hervorzuheben ist, dass der Beitrag nicht nur die Potenziale der Windkraft aufzeigt, sondern auch die praktischen Limitierungen berücksichtigt. Es wird klar, dass der Wind nicht konstant weht, die Leistung der Windräder stark schwankt und vor allem in Zeiten von zu wenig oder zu viel Wind keine stabile Stromversorgung gewährleistet werden kann. Die detaillierte Betrachtung der Weibullverteilung und der damit verbundenen Unsicherheiten liefert einen wichtigen wissenschaftlichen Beitrag zum Verständnis der realen Herausforderungen, mit denen die Windkraftkonzeption konfrontiert ist.
Doch genau hier liegt auch eine der Schwächen des Artikels. Zwar wird die Bedeutung der Windgeschwindigkeit und der Windstromleistung als Grundlage für die Versorgungssicherheit detailliert erläutert, aber die Realität der schwankenden Windverhältnisse und deren Auswirkung auf die Versorgungssicherheit sind ohne eine stärkere Einbeziehung praktischer Lösungen schwer zu greifen. Die Analyse bleibt theoretisch und lässt wenig Raum für Lösungsansätze, wie etwa den Zusammenschluss mit anderen erneuerbaren Energiequellen oder die Notwendigkeit eines intelligenten Netzmanagements. Auch die Rolle von Speichertechnologien oder Backup-Kraftwerken wird nur am Rande erwähnt, obwohl diese entscheidend für die Realisierbarkeit eines Windstromsystems sind.
Insgesamt ist die Analyse des Autors eine wichtige und gut strukturierte theoretische Grundlage, die die Grenzen und Möglichkeiten von Windstrom offenlegt. Es wird deutlich, dass Windstrom allein keine vollständige Antwort auf die Anforderungen an eine stabile Energieversorgung liefern kann, jedoch in Kombination mit anderen erneuerbaren Energien und modernen Speicherlösungen einen bedeutenden Beitrag leisten könnte.
Trotz der Herausforderungen bleibt die Hoffnung, dass wir mit innovativen Lösungen und der verstärkten Nutzung aller verfügbaren erneuerbaren Energien in Zukunft eine zuverlässige und nachhaltige Energieversorgung aufbauen können.
Danke für Ihren Kommentar.
Wie schon der Titel des Beitrags besagt, geht es um eine theoretische Analyse, nicht um eine detaillierte Berücksichtigung der im realen Einsatz zusätzlich bestehenden – meist negativen – Einflüsse. Und es geht um die Windstromproduktion, nicht um Backup-Kraftwerke, nicht um Photovoltaik, nicht um Biomasse und auch nicht um Speicher. Im Schlussabsatz wurde indessen zumindest erwähnt, dass das Problem der Versorgungssicherheit ohne Speicher und/oder Backup-Kraftwerke (die sehr hohe zusätzliche Investitionen erfordern) nicht gelöst werden kann.
Zunächst einmal bedeutet die Beschränkung auf die grundsätzlichen theoretischen Abhängigkeiten, dass die Ergebnisse im Vergleich zum praktischen Einsatz noch etwas geschönt sind. Wie jedes dem Verschleiß unterliegenden technische Gerät, müssen z.B. Windräder gewartet werden. In dieser Zeit kann natürlich kein Strom produziert werden. Bei höheren Windgeschwindigkeiten werden Windräder abgeschaltet, um Schäden zu vermeiden. Dadurch wird die gesamte Produktionszeit zusätzlich reduziert. Das wurde in der Analyse nicht berücksichtigt.
Um es an dieser Stelle ganz provokant zum Ausdruck zu bringen: Windstrom ist volatil und daher ohne eine zusätzliche und leider auch teure Begleitinfrastruktur für die sichere Stromversorgung – insbesondere abseits der windgünstigen Küstenlagen – gänzlich ungeeignet. Immer wieder liest man, ein Windrad könne 3000 Haushalte mit Strom versorgen. Das ist falsch: Es kann genau 0 Haushalte sicher mit Strom versorgen, jedenfalls dann, wenn man die gewohnte Zuverlässigkeit in der Stromversorgung zugrunde legt.
Auch bei dem für 2045 geplanten bundesweiten Ausbaustand von Windkraft (ca. 270 GW), Photovoltaik (ca. 430 GW) und Biomasse bleibt das Versorgungsrisiko hoch, obwohl damit die EE-Nennleistung den Durchschnittsbedarf etwa um den Faktor 10 übersteigt. Wenn man die durchschnittlichen Wetterdaten von 2018-2022 zugrunde legt, ergibt sich Folgendes: ==> ca. 10 Tage mit dauerhafter Unterversorgung, ca. 30 Tage mit summarischer Unterversorgung auf Tagesbasis, ca. 250 Tage mit temporärer Unterversorgung innerhalb eines Tages (Basis der Berechnung: Daten von Fraunhofer/energy-charts). Natürlich kann man die kurzzeitige Unterversorgung innerhalb eines Tages bereits durch relativ kleine Speicher ausgleichen. Kritisch sind vor allem die Tage mit dauerhafter Unterversorgung. Je nach den Wetterbedingungen würde man dafür auch 2045 noch Speicher mit einer Kapazität von 10 TWh und mehr benötigen. Bei Preisen von 100 €/kWh wären das immer noch 1000 Mrd. €. Heute verfügen wir über Speicher mit einer Größe von weniger als 0,1 TWh. Das reicht gerade einmal für die Überbrückung einer etwa 1-stündigen Versorgungslücke.
Zur praktischen Analyse bezogen auf einen realen Windpark s. Energetische Autarkie | BUEG. https://umwelt-energie-gauting.de/energetische-autarkie/