Es ist nicht egal, Frau Baerbock

Wenn es nicht egal ist, was ist es dann? Töricht? Fahrlässig? Unbedacht? Hat sich Baerbock hier eine schlimme Entgleisung geleistet? Oder ist alles nur Desinformation?

Wir werden sehen.

Jedenfalls kann man an diesem Beispiel sehr gut nachvollziehen, wie professionelle Tatsachenverdrehung und Desinformation gepaart mit Meinungsmanipulation ganz subtil funktionieren.

Was ist geschehen? – Baerbocks entscheidende Sätze

Da äußert die deutsche Außenministerin Baerbock auf einem Treffen in Prag vor internationalem Publikum folgende Sätze (Übersetzung aus dem Englischen von Telepolis):

Aber wenn ich den Menschen in der Ukraine zugleich das Versprechen gegeben habe: Wir stehen an eurer Seite, solange ihr uns braucht – dann möchte ich es einlösen, egal, was meine deutschen Wähler denken.

Wir werden an der Seite der Ukraine stehen, und das bedeutet, dass die Sanktionen auch im Winter bestehen bleiben, auch wenn es für die Politiker sehr hart wird.

Wir müssen in ganz Europa eine gute Lösung finden, um die sozialen Auswirkungen auszugleichen …

Wir müssen die Antworten geben: Wir sind mit jedem in unserem Land solidarisch, so wie wir mit jedem in der Ukraine solidarisch sind.

Baerbock auf dem Forum 2000 in Prag (01.09.2022), YouTube.

Die Reaktion auf Baerbocks Aussagen

Hohe Wellen schlägt insbesondere der Halbsatz „egal, was meine deutschen Wähler denken„. Er lässt für viele nur die Interpretation zu, die Menschen in der Ukraine seien Baerbock wichtiger als die deutschen Bürger. Oder, sie pfeife auf die Meinung der Wähler.

Die erste Verfälschung und vermeintliche Desinformation

Über Twitter wurde die folgende Version verbreitet: I will put Ukraine first „no matter what my German voters think or how hard their life gets. Daneben wurde das Video vom Auftreten Bearbocks so geschnitten, dass die kompromittierenden Aussagen nacheinander zu hören waren.

Der wörtlich gefallene Halbsatz steht in Anführungszeichen. Der Vorspann dazu beschreibt den Kontext im Hinblick auf die Unterstützung der Ukraine. Dieses „Ukraine first“ hat Baerbock so zwar nicht wörtlich gesagt, es ist aber keinesfalls grob sinnentstellend wiedergegeben, wie man den obigen Zitaten entnehmen kann. Es ist eine rhetorische Zuspitzung.

Und was bedeutet das?

Durch die Wendung „egal, was meine deutschen Wähler denken“ wird zweierlei zum Ausdruck gebracht: Erstens wird damit betont, ich bleibe dabei (also bei der Unterstützungszusage für die Ukraine), auch wenn meine deutschen Wähler, und damit alle Wähler und somit letztlich die Menschen in Deutschland anderer Meinung sind. Die Unterstützungszusage ist offenbar dem Urteil des Wählers übergeordnet. Die Kaskade gilt deswegen, weil Baerbock als Amtsträgerin spricht, nicht als Parteipolitikerin. Das ist der gutartige Teil, weil er für die Festigkeit des politischen Urteils steht.

Zum Zweiten bedeutet dies aber auch, dass die Empfänger der Unterstützungsleistung in irgendeiner Weise einen höheren Stellenwert genießen. Wäre er gleich oder niedriger, so würde man die Wähler überhaupt nicht erwähnen oder z.B. formulieren: „bin mir sicher, meine deutschen Wähler sehen das auch so“ bzw. „vorausgesetzt, meine deutschen Wähler sehen das auch so„.

Die Priorität (Ukraine first) wird somit ganz klar zum Ausdruck gebracht. Da hilft es auch nicht, wenn Baerbock zum Schluss ihres Statements deutschen Mitbürgern die gleiche Solidarität wie Ukrainern zusichert. Auch diese Aussage verdreht in grotesker Weise die Prioritätenreihenfolge. Auf Basis ihres Ministereids hat sie von Amts wegen zu allererst für deutsche Bürger Sorge zu tragen. Da gibt es keinen Spielraum.

Worin liegt Baerbocks Fehler?

Selbstredend ist es Frau Baerbock unbenommen, der Ukraine Unterstützung zuzusichern. Das ist eine politische Entscheidung, die man zwar mit dem aus ihrer Aussage sprechenden Absolutheitsanspruch nicht teilen muss, aber darum geht es hier nicht. Der entscheidende Punkt ist die von Baerbock unnötigerweise hergestellte Beziehung zwischen dem Willen deutscher Wähler und den Interessen der Ukrainer in Verbindung mit dem von ihr ausgesprochenen Primat der Ukraine.

Wir haben eine repräsentative Demokratie und in einer solchen sind gewählte Politiker zwischen den Wahlen im strengen Sinne nur ihrem Gewissen verantwortlich. Jedenfalls sind Volksabstimmungen über derartige Fragestellungen nicht vorgesehen. Formal darf sich Baerbock daher sogar über das Befinden der Wähler hinwegsetzen, sofern sie das politisch für richtig hält. Das ist aber ersichtlich etwas anderes, als den Wählerwillen offen als irrelevant abzutun.

In dieser krassen Form ist das ist eine beispiellose Respektlosigkeit gegenüber dem demokratischen Souverän. Ein solches Denken ist im Kern undemokratisch. Sie schadet damit der Demokratie und im Übrigen auch der Akzeptanz der von ihr verfolgen Politik.

Die zweite Verfälschung

Der über soziale Medien verbreitete Zusatz „(no matter) how hard their life gets“ ist verfälscht und in dieser Form nicht gefallen. Wie oben zitiert, hat sie dabei darauf abgehoben, dass die Sanktionen bestehen bleiben, „auch wenn es für die Politiker sehr hart wird„. Das ist natürlich etwas anderes als die Aussage, „auch wenn es für die Menschen sehr hart wird„.

In diesem Fall kann man schon von einer Verfälschung sprechen. Man muss sich aber dennoch fragen: Wird dadurch die Kernbotschaft „egal, was meine deutschen Wähler denken“ signifikant verändert? Ich meine, nein. Sie wird unterstrichen und graduell schärfer, aber nicht in ihrer Grundaussage verändert.

Das ist also der Vorgang. Worin liegt nun die Desinformation?

Zunächst gibt der Tweet Baerbock im strengen Sinne fraglos verfälscht wieder, weil der Zusatz so nicht wörtlich gefallen ist. Das ist aber nicht der entscheidende Punkt, weil aus dem Kontext heraus die Rede eindeutig in diese Richtung geht. Das kulminiert in der unbestreitbar korrekt zitierten Kernaussage „(will die Ukraine unterstützen), egal, was meine deutschen Wähler denken“ und wird gestützt durch die weiteren Sätze:

1. Die „Sanktionen (bleiben) auch im Winter bestehen (…), auch wenn es für die Politiker sehr hart wird“ (was ja nichts anderes heißt als, auch wenn die Menschen dagegen aufbegehren).

2. Wir sind mit jedem in unserem Land solidarisch, so wie wir mit jedem in der Ukraine solidarisch sind.“ (wozu schon oben angemerkt wurde, dass dies die Verpflichtung Baerbocks als einer deutschen Amtsträgerin auf den Kopf stellt).

Mein Resümee: Im Wesentlichen handelt es sich um keine Desinformation, sondern um pointierte Zuspitzungen, die aber den Sinn des Gesagten nicht grob verfälschen.

Dennoch gibt es bei diesem Vorgang auch eine Desinformation. Sie kommt fataler Weise vom Außenministerium selbst.

Die Stellungnahme des Auswärtigen Amtes

Vom Sprecher des Auswärtigen Amtes, Peter Ptassek, wurde folgende Stellungnahme verbreitet:

Der Klassiker: Sinnenstellend zusammengeschnittenes Video, geboostert von prorussischen Accounts und schon ist das Cyber-Instant-Gericht fertig, Desinformation von der Stange. Ob wir uns so billig spalten lassen? Glaube ich nicht.“

Ein Ablenkungsmanöver

Das Auswärtige Amt macht aus dem Vorgang also kurzerhand eine prorussische Desinformation und will die Sache damit ad acta legen. Nach dem Motto, bloß keine Wellen schlagen, die Sache einfach als Falschmeldung oder eben als gezielte Desinformation darstellen. Angesichts der unbestreitbaren Fakten entlarvt sich dieser Ansatz indessen von selbst als billiges Ablenkungsmanöver.

Das verbreitete Video ist verändert, aber nicht grob sinnentstellend verfälscht. Frau Baerbock hat die Ursache gesetzt, das kann man nicht wegdiskutieren. Auch nicht mit dem Hinweis auf eine eventuelle oder vielleicht erwiesene Beteiligung der russischen Propaganda.

Desinformation kommt mitunter von der „falschen“ Seite

Der oder die Verbreiter der Botschaft haben ohne Zweifel dafür gesorgt, dass Baerbocks Aussagen schnell und wirksam über die sozialen Medien gestreut wurden. Ansonsten wären die Äußerungen vielleicht sogar untergegangen. Der resultierende „Flächenbrand“ an öffentlicher Erregung wäre ohne den propagandistischen Brandbeschleuniger vielleicht gar nicht entstanden. Das ändert aber nach wie vor nichts an den Fakten. Es wäre fatal, wenn wir dazu übergingen, Tatsachen gewissermaßen automatisch zu ignorieren, wenn wir über uns nicht genehme Quellen darüber erfahren.

Deswegen liegt die eigentliche und für die Demokratie gefährliche Desinformation in dieser Sache meiner Meinung nach auf Seiten des Außenministeriums. Richtig wäre es gewesen, dem Fehler mit einer Entschuldigung und Berichtigung betreffend der Wortwahl die Spitze zu nehmen.

Zusammenfassung

Man kann es drehen und wenden wie man will, der Halbsatz: „egal, was meine deutschen Wähler denken“ ist genau so gefallen und lässt nur die Interpretation zu, die Menschen in der Ukraine seien ihr wichtiger als die deutschen Bürger. Da hilft es auch nicht, wenn sie zum Schluss ihres Statements deutschen Mitbürgern die gleiche Solidarität wie Ukrainern zusichert. Auch diese Aussage verdreht in grotesker Weise die Prioritätenreihenfolge. Auf Basis ihres Ministereids hat sie von Amts wegen zu allererst für deutsche Bürger Sorge zu tragen.

Nein, das alles kann man nun nicht mehr lapidar als Flapsigkeit oder als unkluge Äußerung beiseite wischen. Unklug ist es gewiss (wie leider nicht wenige ihrer Statements zuvor), es damit geschwind abzutun und einfach zur Tagesordnung überzugehen wäre aber verfehlt. Der Hinweis des Auswärtigen Amtes auf eine angebliche prorussische Desinformation entlarvt sich dabei von selbst als billiges Ablenkungsmanöver. Frau Baerbock hat die Ursache gesetzt, das kann man nicht wegdiskutieren.

Bewertung

Es ist keine Petitesse, sich derart respektlos über das Denken und Befinden der Menschen hinwegzusetzen. Als Repräsentantin des Staates schuldet Baerbock zu allererst dem demokratischen Souverän, also dem deutschen Volke, Verantwortung und Respekt. Beides lässt sie hier vermissen. Das macht fassungslos! Unabhängig von ihren politischen Überzeugungen über Richtig und Falsch im Hinblick auf die Ukraine schadet sie damit der Demokratie.

Entweder hat Frau Baerbock ihre Worte nicht im Griff und redet einfach nur gedankenlos dahin, dann wäre ihre Wortwahl nur töricht zu nennen. – Was überhaupt könnte für einen Diplomaten disqualifizierender sein?

Oder sie meint tatsächlich, was sie sagt, dann stellt sie damit die Interessen der Ukraine über die Interessen deutscher Bürger.

Gleich wie es sich verhält, beides ist inakzeptabel. Baerbock erweist sich einmal mehr als für ihr Ministeramt ungeeignet.

Dieses Resümee müsste man im Übrigen auch dann ziehen, wenn es sich um einen Herrn Baerbock aus der FDP oder der CDU handelte.


Quellen:

[1]: Video von Baerbocks Auftritt Baerbock: ,,no matter what my German voters think“ | Kein Ende der Sanktionen | Forum 2000

[2]: Artikel in der WELT https://www.welt.de/politik/ausland/article240801361/Baerbock-Regierung-steht-an-der-Seite-der-Ukraine-egal-was-meine-deutschen-Waehler-denken.html

[3]: Telepolis / BR Faktenfuchs https://www.heise.de/tp/features/Baerbock-und-die-Desinformationskampagne-Aber-sie-hat-es-doch-gesagt-7252010.html

[4]: Telepolis / Übersetzung der Rede https://www.heise.de/tp/features/egal-was-meine-deutschen-Waehler-denken-7251576.html

[5]: Bericht im Merkur https://www.merkur.de/politik/annalena-baerbock-ukraine-versprechen-egal-waehler-kritik-afd-linke-cdu-weidel-roettgen-news-zr-91761720.html

[6]: Kommentar im Merkur https://www.merkur.de/politik/baerbock-ukraine-zitat-deutsche-waehler-kritik-aussenministerin-kommentar-91764950.html

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