Das Coronavirus – So schnell breitet es sich aus.

Aber wir können etwas dagegen tun!

Zusammenfassung

Es wird ein Modell für die Ausbreitung des Coronavirus entwickelt. Darauf fußend werden die resultierenden Zahlen der Infektionsverläufe prognostiziert (Diagramme) und die Sinnhaftigkeit der Maßnahmen abgeleitet.

Sofern wir die jetzt verfügten Maßnahmen umsetzen und uns alle daran halten, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit sichergestellt, dass es nicht wieder zu einem exponentiellen Anstieg der Infektionszahlen und damit zu neuen Ausbreitungswellen kommt. In einer etwas moderateren Form ist das erforderlich bis zur Zulassung und allgemeinen Verfügbarkeit eines Impfstoffs. Erst danach können wir wieder in „alte Verhaltensmuster“ zurückfallen.

Entscheidend ist: Zunächst müssen wir die akut anstehenden drastischen Verhaltensregeln konsequent einhalten und die Einschränkungen geduldig hinnehmen. Dabei wird die Wirtschaft kurzfristig leiden, aber schon nach Überwindung des jetzt noch vor uns liegenden hohen Anstiegs an Neuinfektionen wird in 4 bis 6 Wochen ein durchaus normales Wirtschaftsleben mit einigen kleineren Einschränkungen wieder möglich sein. Die Alternative einer halbherzigen Umsetzung wäre ein dauerhaftes Stagnieren der Wirtschaft, weil immer wieder neue Ansteckungswellen drohen.

Hinweis für den eiligen Leser: Die Abschnitte „ABER: Wirtschaft und Gesellschaft ebenfalls im Auge behalten„, „Validierung der Lösungsstrategie“ und „Schluss und Ausblick“ weiter unten enthalten alles Wesentliche für die erfolgreiche Bewältigung im Hinblick auf die weitere Ausbreitung des Virus.

Einleitung

Am Corona-Virus kommt man in diesen Tagen nicht vorbei. Nahezu alle öffentlichen Veranstaltungen sind abgesagt. Sportstätten, Theater, Museen sind dicht, Fußballspiele finden nicht mehr statt. Clubs geschlossen, Kneipen und Restaurants im reduzierten Abstandsbetrieb. Konferenzen und Messen abgesagt. Mittlerweile sind auch die Grenzen geschlossen. Können wir so die weiter Ausbreitung der Epidemie stoppen oder zumindest den Verlauf und Anstieg der Neuinfektionen verlangsamen? Zumindest kann man diesen Maßnahmen, auch ohne Experte  zu sein, die Vernünftigkeit nicht absprechen. Die Idee dahinter: Wenn die Menschen weniger in Kontakt zueinander treten, dann sollte doch zumindest das Ansteckungsrisiko für die Nichtinfizierten sinken. Das ist einleuchten!

Im Folgenden soll zunächst ein einfaches Modell für die Verbreitung des Virus entwickelt werden. Auf Basis des Modells können wir dann abschätzen, wie die Zahl der Infizierten weiter wachsen wird. Ferner können wir durch Variation der Modellparameter unterschiedliche Szenarien durchspielen und so die Verhaltensmaßregeln der Mediziner (Hygiene, soziale Kontakte, …) im Modell spiegeln. Wir gewinnen so Erkenntnisse über die mutmaßliche Wirksamkeit der Maßnahmen im Hinblick auf die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Corona-Epidemie und können auf dieser Basis unser eigenes Verhalten daraufhin abstimmen.

Ausgangsbasis für die Modellbildung

Die Inkubationszeit des „COVID-19“ genannten Virus beträgt zwischen 2 und 14 Tagen. Meist werden 7 – 14 Tage angegeben. Das Virus wird vornehmlich durch Tröpfcheninfektion übertragen. Diese kann von direkt von Mensch zu Mensch erfolgen, wenn Virus-haltige Tröpfchen an die Schleimhäute der Atemwege gelangen. Auch eine Übertragung durch Schmierinfektion über die Hände, die mit der Mund- oder Nasenschleimhaut sowie mit der Augenbindehaut in Kontakt gebracht werden, ist prinzipiell nicht ausgeschlossen, spielt aber vermutlich nur eine untergeordnete Rolle. Das Virus ist hoch ansteckend und kann schon innerhalb der Inkubationszeit auf andere übertragen werden. Oft ist es sogar so, dass ein Infizierter noch gar keine Beschwerden verspürt) (s. https://www.infektionsschutz.de/coronavirus-sars-cov-2.html).

Das Robert-Koch-Institut gibt für die  Dauer der Infektiosität einen Zeitraum von bis zu 8 Tagen an. (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html#doc13776792bodyText5). Das ist die Zeitspanne, innerhalb derer Patienten, die mit COVID-19 infiziert sind und Symptome aufweisen, das Virus an andere übertragen können. Diese Zahl ist indes unsicher, sie beruht tatsächlich nur auf einer kleinen Studie mit 9 Patienten. Ebenfalls bekannt ist, dass auch Patienten ohne Symptome andere infizieren können, offenbar auch schon innerhalb der Inkubationszeit. Für die Modellbildung entscheidend ist weniger die genaue Größe der Infektiosität, als vielmehr die definitive zeitliche Begrenztheit. Wenn jeder Infizierte dauerhaft Überträger des Virus sein würde, wäre es unausweichlich, dass über kurz oder lang alle Menschen erkrankten. Völlig gleich, welche (realistischen) Schutzmaßnahmen man auch immer ergreifen würde.

Mathematisches Modell für die Beschreibung der Ausbreitung

Sei  \(N\) die Größe der Population. Der Wert \(q\) steht für die Wahrscheinlichkeit, dass beim Kontakt mit einem Virusträger eine Übertragung stattfindet (was nach den obigen Ausführungen nur innerhalb der begrenzten Infektionszeit möglich ist). Ferner sei \(k\) die durchschnittliche Anzahl der Kontaktpersonen und \(k_{n}\) die durchschnittliche Anzahl der nicht infizierten Kontaktpersonen eines Erkrankten. Die Anzahl der Neuinfizierten im Intervall  bezeichnen wir mit \(a_{n}\). Die Gesamtanzahl aller bis zum Intervall \(n\) bereits Erkrankten in der Population nennen wir \(s_{n} \). Offensichtlich gilt \(s_{n} = \sum_{i=0}^{n} a_{i} \).

Für die Anzahl der Neuinfizierten im Intervall \(n+1\)  erhalten wir nun:

\begin{equation} a_{n+1} = q \cdot k_{n} \cdot a_{n} \end{equation}

Wie kommen wir hierin zum Wert von \(k_{n}\)? Ganz einfach: Die Wahrscheinlich dafür, dass eine zufällig aus der Gesamtpopulation gewählte Kontaktperson noch nicht infiziert ist, können wir leicht bestimmen. Es ist der Quotient \(\frac{N-s_{n}}{N} \). Demnach gilt

\begin{equation} k_{n} = \frac{N-s_{n}}{N} \cdot k \end{equation}

Zusammengefasst erhalten wir also

\begin{equation} a_{n+1} = q \cdot k \cdot \left (1 – \frac{s_{n}}{N} \right ) \cdot a_{n} \end{equation}

Oder ausgeschrieben

\begin{equation} a_{n+1} = q \cdot k \cdot \left (1 – \frac{1}{N} \sum_{i=0}^{n} a_{i} \right ) \cdot a_{n} \end{equation}

Damit sind wir mit der Modellformulierung bereits fertig.

Hinweis: Das Produkt aus Kontaktanzahl und Infektionswahrscheinlichkeit wird oft auch als Reproduktionsfaktor oder R-Wert bezeichnet.

Exemplarische Modellbetrachtung

Was ist ein vernünftiges Intervall in der Modellbeschreibung? Nach dem eingangs zur Inkubationszeit und zur Zeitdauer der Infektiosität Gesagten, erscheint es sinnvoll, als Intervall einen Zeitraum von etwa 7 Tagen zu wählen. Der Index \(n\) steht daher für die fortlaufende Nummer einer Woche. Wir fragen also nach der Anzahl der Neuinfektionen in der \(n\)-ten Woche des Betrachtungszeitraums.

Das RKI (Robert-Koch Institut) gibt an, dass derzeit ein Erkrankter im Mittel 2,4 bis 3,3 weitere Personen infiziert. Im Modell können wir das folgendermaßen abbilden: Wir nehmen z.B. an, die durchschnittliche Anzahl  \(k\) der Kontaktpersonen eines Infizierten liege bei etwa 24 – 33 (pro Woche); gleichzeitig unterstellen wir ein Ansteckungsrisiko von  \(q\) pro Kontaktperson. Im Hinblick auf die Ausbreitung des Virus liefe es im Mittel auf dasselbe hinaus, wenn wir stattdessen von 2,4 bis 3,3 Kontaktpersonen bei einem Ansteckungsrisiko von 100% ausgehen würden oder 48 bis 66 Kontaktpersonen bei einem Ansteckungsrisiko von 5%. Entscheidend ist lediglich das Produkt aus beiden Modellparametern.

Dadurch wird das effektiv von einem Erkrankten ausgehende Risiko bei Einhaltung der Verhaltensregeln (Hygienemaßnahmen, möglichst weitgehende Kontaktreduzierung) beschrieben. Solange noch kein Impfstoff zur Verfügung steht, ist dies die einzige Stellgröße zur Verlangsamung des Anstiegs der Infektionszahlen. In Abb. 1 und 2 sind die gerechneten Verläufe der Neuinfektionen und der Gesamtfallzahlen für Zweitinfektionsraten von 3,3 bzw. 2,4 dargestellt.

Anwendung auf den Status quo

Nachfolgend sind zwei Diagramme dargestellt, die zeigen, wie sich die Infektionszahlen wahrscheinlich entwickeln, wenn man nichts tut.

Abb. 1: Verlauf der Infektionen bei \(q = 10\%\), \(k = 33\) (entsprechend 3,3 Zweitinfektionen pro Erkranktem). Gesamtanzahl der Infizierten (blau) auf der linken Achse, Neuinfektionen (rot) auf der rechten Achse. Die Anzahl der Neuinfektionen erreicht in der 16. Woche mit ca. 37 Mio. ihr Maximum. Dann sind schon 60 Mio. Einwohner infiziert. Bereits nach 17 Wochen sind nahezu alle 83 Mio. Einwohner erkrankt.

Abb. 2: Verlauf der Infektionen bei \(q = 10\%\), \(k = 24\) entsprechend 2,4 Zweitinfektionen pro Erkranktem). Gesamtanzahl der Infizierten (blau) auf der linken Achse, Neuinfektionen (rot) auf der rechten Achse. Die Anzahl der Neuinfektionen erreicht in der 22. Woche ihr Maximum mit ca. 23,5 Mio. Bis dahin sind bereits über 50 Mio. Einwohner infiziert. Die Gesamtanzahl der Infizierten bleibt nach der 24. Woche mit knapp 80 Mio. konstant. Am Ende werden nur etwa 3 Mio. verschont.

Die aus den aktuell vorherrschenden Zweitinfektionen (2,4 – 3,3) resultierenden Verläufe sind gewiss nicht beherrschbar. Bei 3,3 (s. Abb. 1) erhalten wir 37 Mio. Neuinfektionen bereits in der 16. Ausbreitungswoche. Sogar bei 2,4 (s. Abb. 2) sind es im Maximum immer noch fast 24 Mio. Neuinfektionen, wenn auch erst in der 22. Woche.

Einfache Modellanalyse

Mittels des Modells kann man leicht bestimmen, welche Bedingung erfüllt sein muss, damit die Anzahl der Neuinfektionen ab einem bestimmten Zeitintervall nicht weiter wächst. Dies ist doch offensichtlich dann der Fall, wenn \(\frac {a_{n+1}}{a_{n}}  \le 1\) ist, wenn also gilt, \( q k \left (1 – \frac{s_{n}}{N} \right ) \le 1\). Demnach lautet die Bedingung

\begin{equation} \frac{s_{n}} {N} \ge 1 – \frac{1}{q k} \end{equation}

Erst dann also, wenn der relative Anteil der Infizierten an der Gesamtpopulation erstmals den Wert \(1 – \frac{1}{q k}\) übersteigt, gehen die Neuinfektionen zurück. Diesen Zusammenhang kann man umgekehrt zur Bestimmung der Gesamtanzahl der Erkrankten bei diesem Wendepunkt nutzen. Im Falle der obigen Werte des RKI (2,4 bis 3,3) liegen die entsprechenden kumulierten Infektionszahlen im Wendepunkt bei \(\frac{s_{N}}{N} = 58\%\) (das sind etwa 48 Mio. Menschen in Woche \(n = 16\)) bzw. \( \frac{s_{N}}{N} = 70\% \) (das sind etwa 58 Mio. Menschen in Woche \(n = 22\)).Variation der Modellparameter

Im Folgenden betrachten wir den Verlauf der Neuinfektionen bei Variation der Zweitinfektionsrate pro Erkranktem von 3 bis hinunter auf 1,1 (s. Abb. 3).

Abb. 3: Verlauf der Neuinfektionen bei Variation der Zweitinfektionsrate pro Erkranktem von 3 bis hinunter auf 1,1 (entsprechend \(q = 10\%\), \(k = 30, 25, 20,\cdots11\) oder jeder anderen Kombination von Ansteckungsrate \(q\) und Anzahl der Kontaktpersonen \(k\) mit dem gleichen Produkt \(q \cdot k\)). Die nicht dargestellten Maxima bei den Kurven für 3, 2,5, 2 und 1,9 Zweitinfektionen liegen bei 37 Mio., 24,5 Mio., 15,5 Mio. und 14 Mio. Neuinfektionen pro Intervall (Woche). Der Höchststand für 1,1 Zweitinfektionen (dunkelgrüne Kurve ganz rechts) liegt weit außerhalb des Betrachtungszeitraums etwa in der 149. Woche mit nur noch 365.000 Neuinfektionen und ist gleichfalls nicht dargestellt.

Wie man der Grafik (s. Abb. 3) entnimmt, verschiebt sich das Maximum der Anzahl der Neuinfektionen bei einer geringeren Anzahl von Zweitinfektionen schnell nach rechts. Man gewinnt durch die Reduktion der Zweitinfektionsrate also auf jeden Fall Zeit, die Leben retten kann. Diese Zeit kann man nutzen, um z.B. einen Impfstoff zu finden und einsatzreif zu machen. Fast noch wichtiger in diesem Zusammenhang: Die Überlastung des Gesundheitssystems wird vermieden, wenn bestimmte Grenzen von Neuinfektionen pro Woche unterschritten werden.

Im Gesundheitssystem handlungsfähig bleiben

In Deutschland verfügen wir über ca. 20.000 Intensivstationen. Wenn wir annehmen, dass die schweren Krankheitsverläufe in etwa 1% der Fälle vorkommen, wären wir folglich in der Lage, im Extremfall bis zu 2 Mio. (= 20.000/0,01) Neuinfektionen pro Woche zu beherrschen. Das entspricht einer Zweitinfektionsrate von 1,2 – 1,3 (s. die beiden entsprechend betitelten grünen Kurven in Abb. 3). Noch besser wäre es freilich indessen, die Anzahl der Zweitinfektionen auf 1,1 zu bringen (dunkelgrüne Kurve ganz rechts in Abb. 3; ihr Maximum ist nicht mehr dargestellt und liegt etwa in der 149. Woche mit nur noch 365.000 Neuinfektionen; s. a. Abb. 10 im Anhang).

Ohne Impfstoff müssen wir die Zweitinfektionen unterhalb von 1,3 halten, andernfalls lässt sich die Überlastung des Gesundheitssystems mit der Konsequenz vieler Todesfälle kaum vermeiden. Wenn das nicht gelingt, werden wir schon bei noch moderaten 1,5 bzw. 1,4 Zweitinfektionen im Maximum 6 Mio. bzw. 4,2 Mio. Neuinfektionen pro Woche sehen. Dies wird dann allerdings erst in der 43. bzw. der 50. Woche auftreten, so dass man immerhin hoffen kann, dass bis dahin ein Impfstoff verfügbar sein wird (s. a. Abb. 8). Mit 1,2 Zweitinfektionen würden wir die Neuinfektionen pro Woche unter dem Maximalwert von 1,3 Mio. halten können, wobei dieser Höchstwert sogar erst in 84. Woche auftreten würde.

ABER: Wirtschaft und Gesellschaft ebenfalls im Auge behalten

Ist das also die Lösung? Wohl kaum! Richtig ist: Aufgrund der Kurvenverflachung wäre die Corona-Krise für Zweitinfektionsraten von maximal 1,2 bis 1,3 am Ende vom Gesundheitssystem zu bewältigen. Das hieße aber auch, die Wirtschaft über 9 bis 12 Monate oder vielleicht sogar noch weit darüber hinaus auf Sparflamme zu fahren. Wir würden zwar überleben, aber zu welchem Preis? Letztlich ist es also keine sinnvolle Lösung, den Peak der Neuinfektionen einfach nur in die Zukunft zu schieben, wie das in den Medien und Talkrunden gerne dargestellt wird. Endscheidend ist dies: Wir müssen es schaffen, die Zweitinfektionen auf einen Wert von 1 oder darunter zu bringen. Nur so können wir Neuinfektionen aus der Phase des exponentiellen Wachstums herausbringen und die Krise letztlich für das Gesundheitssystem, die Wirtschaft UND die Gesellschaft insgesamt konstruktiv gestalten.

Dafür ist es unbedingt erforderlich, jetzt sofort und mit aller Macht wirksame Maßnahmen zu ergreifen. Die Maßnahmen sind z. T. schon in Kraft gesetzt, sie müssen aber auch von allen konsequent eingehalten und nötigenfalls gar verschärft werden. Bei Erfolg werden wir schon binnen 4 bis 6 Wochen Licht am Ende des Tunnels sehen und können sukzessive zur Normalität zurückkehren.

Validierung der Lösungsstrategie

Mittels des Modells können wir diese Strategie leicht überprüfen. Derzeit befinden wir uns noch in der Phase exponentiellen Wachstums mit \(q \cdot k = 2.4 \cdots 3.3\) Zweitinfektionen und rechnen daher mit um die entsprechenden Faktoren 2,4x bis 3,3x vervielfachten Neuinfektionen von Woche zu Woche. Wir müssen dafür sorgen, dass das Produkt \(q \cdot k \) relativ schnell \(< 1\) wird.

Das erste Auftreten des Corona-Virus in Deutschalnd liegt etwa 8 Wochen zurück. Im bisherigen Verlauf hat sich das Virus mit etwa 3,3 Zweitinfektionen ausgebreitet (wir gehen in der Modellrechnung von diesem pessimistischen Wert aus). Nun unterstellen wir, dass es gelingt, mit den angekündigten und ggf. noch zu verschärfenden Maßnahmen diesen Wert nach Woche 10 auf 0,9 zu drücken (im Modell also \(q \cdot k = 0.9\)). Abb. 4 zeigt den resultierenden Verlauf der Neuinfektionen und der Gesamtanzahl der Infizierten über die Zeit.

Ziel 1: 0,9 Zweitinfektionen – nicht hinreichend

Abb. 4: Verlauf der Infektionen bei \(q =10\%\), \(k = 33\) bis Woche 10 und \(q = 10\%\), \(k =9\) ab Woche 11 (entsprechend 0,9 Zweitinfektionen pro Erkranktem). Gesamtanzahl der Infizierten (blau) auf der linken Achse, Neuinfektionen (rot) auf der rechten Achse. Es dauert ein Jahr, bis die Krise komplett überstanden ist.

Der Verlauf nach Abb. 4 zeigt, wie es prinzipiell gehen kann. Die Anzahl der Neuinfektionen erreicht in der 10. Woche ihr Maximum mit ca. 46.000. Danach gibt es von Woche zu Woche etwa 10% weniger Neuinfektionen. Zum Zeitpunkt des Höchststands sind bereits knapp 70.000 Personen Einwohner infiziert. Die Gesamtanzahl der Infizierten bleibt nach der 52. Woche mit knapp 470.000 konstant. Die Dauer der Krise ist mit einem vollen Jahr aber dennoch entschieden zu lang.

Ziel 2: Dauerhaft 0,5 Zweitinfektionen – zu optimistisch

Betrachten wir ein zweites Beispiel. Wieder mit den pessimistischen 3,3 Zweitinfektionen im anfänglichen Verlauf bis zur 10. Woche. Ab Woche 10 gehen wir nun von nur noch 0,5 Zweitinfektionen aus (im Modell also \(q \cdot k = 0.5\)). Abb. 5 zeigt den resultierenden Verlauf.

Abb. 5: Verlauf der Infektionen bei \(q =10\%\), \(k = 33\) bis Woche 10 und \(q = 10\%\), \(k = 5\) ab Woche 11 (entsprechend 0,5 Zweitinfektionen pro Erkranktem). Gesamtanzahl der Infizierten (blau) auf der linken Achse, Neuinfektionen (rot) auf der rechten Achse. Bereits 6 Wochen (ab Woche 16) nach Inkrafttreten der wirksamen Maßnahmen ist die Krise im Wesentlichen überstanden.

Wie im vorigen Fall erreicht auch hier die Anzahl der Neuinfektionen in der 10. Woche ihr Maximum mit ca. 46.000. Danach sinkt die Anzahl der Neuinfektionen rapide (von Woche zu Woche etwa 50% weniger Neuinfektionen). Zum Zeitpunkt des Höchststands sind wieder etwa 70.000 Personen erkrankt. Die Gesamtanzahl der Infizierten bleibt nun aber schon spätestens ab der 16. Woche nach Ausbruch der Krise und nur 6 Wochen nach Verfügen der wirksamen Maßnahmen konstant unter 120.000. Die Krise kann derart im Wesentlichen innerhalb eines Quartals entschärft werden: Für das Gesundheitssystem, die Wirtschaft UND die Gesellschaft.

Ziel 3: 0,5 Zweitinfektionen / 1 Zweitinfektion

Auch für den Fall, dass es nicht gelingt, die Zweitinfektionen dauerhaft auf 0,5 zu halten und der Wert nach Aufheben der rigiden Maßnahmen z.B. ab der 20 Woche wieder auf etwa 1 steigt, darf die Krise i. W. als überwunden gelten. Die Anzahl der Neuinfektionen pro Woche kann nach aller Voraussicht auch mit dem höheren Zweitinfektionswert noch unter 100 oder zumindest im niedrigen 3-stelligen Bereich gehalten werden. Das ist ohne weiteres beherrschbar. Die entsprechende Kurve ist in Abb. 6 dargestellt, unterscheidet sich insgesamt aber kaum von der Darstellung in Abb. 5.

Abb. 6: Verlauf der Infektionen mit \(q = 10\%\), \(k = 33\) bis Woche 10 und \(q =10\%\), \(k = 5\) ab Woche 11 (entsprechend 0,5 Zweitinfektionen pro Erkranktem) sowie \(q = 10\%\), \(k = 10\) ab Woche 20 (entsprechend 1 Zweitinfektion pro Erkranktem). Gesamtanzahl der Infizierten (blau) auf der linken Achse, Neuinfektionen (rot) auf der rechten Achse. Die Anzahl der Neuinfektionen halbiert sich nach Woche 10 im Wochenrhythmus bis zur 20. Woche. Danach bleibt die Rate in etwa konstant bei bis zu einigen 100 oder darunter. Der genaue Wert hängt davon ab, wie lange und konsequent die rigiden Maßnahmen beibehalten werden. Und auch davon, wie die Zweitinfektionen pro Erkranktem in der Phase danach tatsächlich liegen. Auf jeden Fall müssen sie \(\le 1\) bleiben. Der Gesamtverlauf ist im Wesentlichen derselbe wie im Falle von Abb. 5 (man beachte die unterschiedliche Skalierung der rechten Achse).

Schluss und Ausblick

Die unbedingte Voraussetzung für das Gelingen ist:

  • Die Zweitinfektionsrate (im Modell das Produkt \(q \cdot k\)) muss dauerhaft auf Werte \(\le 1\) gedrückt werden. Dazu müssen entweder die Kontaktzahlen auf niedrigerem Niveau als bisher allgemein üblich gehalten und/oder das individuelle Ansteckungsrisiko durch dauerhaft hohe Hygienestandards („sozialverträgliches“ Husten, häufiges Händewaschen, auf Händeschütteln verzichten etc.) deutlich reduziert werden.

Sofern wir das entsprechend umsetzen und uns alle daran halten, ist sichergestellt, dass es nicht wieder zu einem exponentiellen Anstieg der Infektionszahlen und damit zu neuen Ausbreitungswellen kommt. Das ist erforderlich bis zur Zulassung und allgemeinen Verfügbarkeit eines Impfstoffs. Erst danach können wir wieder in „alte Verhaltensmuster“ zurückfallen. Wobei die Einhaltung höherer Hygienestandards auch nach der Überwindung der Krise nicht von Nachteil sein wird.

Entscheidend ist: Zunächst müssen wir die akut anstehenden drastischen Verhaltensregeln konsequent einhalten und die Einschränkungen geduldig hinnehmen. Dabei wird die Wirtschaft kurzfristig leiden, aber schon nach Überwindung des jetzt noch vor uns liegenden hohen Anstiegs an Neuinfektionen wird in 4 bis 6 Wochen ein durchaus normales Wirtschaftsleben mit einigen kleineren Einschränkungen wieder möglich sein. Die Alternative einer halbherzigen Umsetzung wäre ein dauerhaftes Stagnieren der Wirtschaft, weil immer wieder neue Ansteckungswellen drohen.


Anhang

Im Folgenden sind die Verläufe der Neuinfektionen und der Gesamtanzahl der Infizierten bei Zweitinfektionsraten von 2, 1,5, 1,2, und 1,1 dargestellt. Solche Verläufe sind kritisch und weisen auch bei kleinen Zweitinfektionsraten \(> 1\) einen exponentiellen Anstieg der Infektionszahlen auf. Werte von 1,1 oder 1,2 können allenfalls dabei helfen, Zeit zu gewinnen bis zur Zulassung eines Impfstoffs. Richtig ist dabei: Der Peak der Neuinfektionen wird weit in die Zukunft hinausgeschoben und abgeflacht (1 – 3 Jahre). Das hilft indes nur dem Gesundheitssystem, würde aber trotzdem erhebliche wirtschaftliche und soziale Einschränkungen nach sich ziehen. Bei längerer Dauer von nur halbherzigen Maßnahmen ist zu befürchten, dass bis dahin die Wirtschaft einen totalen Zusammenbruch erleidet. Deswegen führt an den oben skizzierten drastischen Maßnahmen kein Weg vorbei. Alles andere wäre wirtschaftlicher Selbstmord.

2 Zweitinfektionen

Abb. 7: Verlauf der Infektionen bei \(q = 10\%\), \(k = 20\) (entsprechend 2 Zweitinfektionen pro Erkranktem). Gesamtanzahl der Infizierten (blau) auf der linken Achse, Neuinfektionen (rot) auf der rechten Achse. Die Anzahl der Neuinfektionen erreicht in der 26. Woche ihr Maximum mit ca. 15,5 Mio. Zu diesem Zeitpunkt sind bereits 42 Mio. Einwohner infiziert. Die Gesamtanzahl der Infizierten bleibt nach der 32. Woche mit knapp 72 Mio. konstant. Am Ende bleiben nur 11 Mio. verschont.

1,5 Zweitinfektionen

Abb. 8: Verlauf der Infektionen bei \(q = 10\%\), \(k = 15\) (entsprechend 1,5 Zweitinfektionen pro Erkranktem). Gesamtanzahl der Infizierten (blau) auf der linken Achse, Neuinfektionen (rot) auf der rechten Achse. Die Anzahl der Neuinfektionen erreicht in der 22. Woche ihren Höchststand mit ca. 6 Mio. Dann sind bereits 28 Mio. Einwohner infiziert. Die Gesamtanzahl der Infizierten bleibt nach der 52. Woche mit ca. 51 Mio. konstant (61,5% der Bevölkerung). Am Ende bleiben 32 Mio. Einwohner verschont.

1,2 Zweitinfektionen

Abb. 9: Verlauf der Infektionen bei \(q = 10\%\), \(k = 12\) (entsprechend 1,2 Zweitinfektionen pro Erkranktem). Gesamtanzahl der Infizierten (blau) auf der linken Achse, Neuinfektionen (rot) auf der rechten Achse. Die Anzahl der Neuinfektionen erreicht in der 85. Woche ihr Maximum mit ca. 1,3 Mio. Bis dahin haben sich insgesamt ca. 14 Mio. Einwohner infiziert. Die Gesamtanzahl der Infizierten ändert sich nach zwei Jahren (ab der 104. Woche) kaum noch und verharrt bei ca. 27 Mio. (33% der Bevölkerung). Am Ende bleiben in diesem Fall 56 Mio. Einwohner verschont.

1,1 Zweitinfektionen

Abb. 10: Verlauf der Infektionen bei \(q = 10\%\), \(k = 11\) (entsprechend 1,1 Zweitinfektionen pro Erkranktem). Gesamtanzahl der Infizierten (blau) auf der linken Achse, Neuinfektionen (rot) auf der rechten Achse. Die Anzahl der Neuinfektionen erreicht in der 149. Woche ihren Höchststand mit ca. 365.000. Bis dahin haben sich insgesamt ca. 7,5 Mio. Einwohner infiziert. Die Gesamtanzahl der Infizierten ändert sich nach 4 Jahren (ab der 200. Woche) kaum noch und verharrt bei ca. 15 Mio. (18% der Bevölkerung). Am Ende bleiben in diesem Fall 68 Mio. Einwohner verschont.

4 Gedanken zu „Das Coronavirus – So schnell breitet es sich aus.“

  1. Du nimmst an, dass die Zweitinfektionsrate einzig und allein durch reduzierte Kontakte und/oder ggf. durch bessere hygienische Standards auf <= 1 gehalten werden kann. Die Frage ist: Wie kommst du zu dieser Annahme? Und was ist, wenn diese Annahme falsch ist und nur die wirklich drastischen Maßnahmen (aktuell laufende Kontaktsperre) dabei helfen, die Zweitinfektionsrate auf <= 1 zu halten? Dann würden wir unsere Wirtschaft über Monate hinweg lahmlegen müssen oder alternativ leider doch ein erneutes exponentielles Wachstum in Kauf nehmen.

    Was ich für realistischer halte: Wir machen mehrere Wellen durch, bis es einen Impfstoff gibt oder bis wir 50-60 Millionen Infizierte/Immunisierte haben, je nachdem, was zuerst eintritt. Kontaktsperre, dann "nur" hygienische Maßnahmen und Social Distancing. Bei erneutem Anstieg der Zahlen wieder eine Kontaktsperre usw.

    Noch zwei kleine Punkte, die mir aufgefallen sind:

    – Die Zahl der schweren Krankheitsverläufe dürfte deutlich höher sein als 1%, wenn schon die Mortalitätsrate irgendwo zwischen 0,5%-3,5% liegt.
    – Du setzt voraus, dass die 20.000 Intensivstationen nach einer Woche auch wieder frei sind. Es scheint jedoch so, dass die teilweise länger als eine Woche verwendet werden müssen.

    1. Anbei meine Antwort (jeweils eingeleitet durch ==>)

      – Du nimmst an, dass die Zweitinfektionsrate einzig und allein durch reduzierte Kontakte und/oder ggf. durch bessere hygienische Standards auf <= 1 gehalten werden kann. Die Frage ist: Wie kommst du zu dieser Annahme?

      ==> Für die Modellrechnung macht es keinen Unterschied, auf welche Weise man die Zweitinfektionen unter 1 hält. Die Zweitinfektionsrate kann natürlich auch durch Isolierung von Infizierten unter 1 gehalten werden. Das macht z.B. dann Sinn, wenn die jetzigen Maßnahmen nach 4 – 6 Wochen ausgesetzt werden und man durch schnelle und billige Tests jederzeit Infizierte von Gesunden (bzw. Genesenen) unterscheiden kann.

      – Und was ist, wenn diese Annahme falsch ist und nur die wirklich drastischen Maßnahmen (aktuell laufende Kontaktsperre) dabei helfen, die Zweitinfektionsrate auf <= 1 zu halten? Dann würden wir unsere Wirtschaft über Monate hinweg lahmlegen müssen oder alternativ leider doch ein erneutes exponentielles Wachstum in Kauf nehmen.

      ==> Das ist zutreffend, davon ist aber Stand heute nicht auszugehen. Es wäre aber tatsächlich ein pessimistisches (worst case) Szenario. Die Wirtschaft NICHT lahmzulegen: Das genau ist es, worum es geht. Ausgangsbeschränkungen sind nur in enger zeitlicher Begrenzung hinnehmbar. Nicht wegen der Grundrechte, sondern wegen des zu erwartenden immensen wirtschaftlichen Schadens, der am Ende alle treffen würde.

      – Was ich für realistischer halte: Wir machen mehrere Wellen durch, bis es einen Impfstoff gibt oder bis wir 50-60 Millionen Infizierte/Immunisierte haben, je nachdem, was zuerst eintritt. Kontaktsperre, dann „nur“ hygienische Maßnahmen und Social Distancing. Bei erneutem Anstieg der Zahlen wieder eine Kontaktsperre usw.

      ==> Das ist ebenfalls denkbar. Dieser Fall wird unter zwei Bedingungen eintreten:
      1. Die jetzigen Maßnahmen wirken nicht hinreichend bzw. man bricht sie zu früh ab, zu einem Zeitpunkt, an zu dem noch zu viele Menschen unerkannt infiziert sind.
      2. Die Menschen gehen nach Aufheben der jetzigen Beschränkungen wieder allzu sorglos in die frühere Normalität zurück. Das aber wird bis zur Verfügbarkeit eines Impfstoffs nicht voll möglich sein. Grundlegende Vorsichtsmaßnahmen (Hygiene, Isolierung von stark Gefährdeten & Infizierten [Tests]) werden sicher noch länger nötig sein.
      Wirtschaftlich kann man aber dennoch in eine Art Normalzustand (mit verkraftbaren Einschränkungen) zurückkehren.

      – Noch zwei kleine Punkte, die mir aufgefallen sind:
      – Die Zahl der schweren Krankheitsverläufe dürfte deutlich höher sein als 1%, wenn schon die Mortalitätsrate irgendwo zwischen 0,5%-3,5% liegt.

      ==> Richtig: Die 1% sind eine Annahme. Sie können gerne 2% oder 5% einsetzen, dann muss man eben die betreffenden Maßnahmen noch länger ausdehnen – Es ist eben eine Modellrechnung unter Unsicherheit. Ziel der Übung war, zu zeigen, dass es so keinen Sinn macht. Der Fokus darf eben nicht nur auf die Kurvenverflachung und damit auf das Gesundheitswesen gerichtet sein (wie das Ärzte und Politiker immer wieder fordern). Das ist keine wirkliche Lösung, weil sie zuviel Zeit kostet und die Wirtschaft massiv schädigen würde.
      In D liegt die Mortalität gegenwärtig deutlich unter 1%.

      – Du setzt voraus, dass die 20.000 Intensivstationen nach einer Woche auch wieder frei sind. Es scheint jedoch so, dass die teilweise länger als eine Woche verwendet werden müssen.

      ==> Richtig: Auch das eine Annahme, um eben rechnen und Aussagen treffen zu können. Wenn die Intensivbehandlung im Mittel 2 Wochen dauert (was denkbar ist), dann muss man die Bettenkapazität verdoppeln oder kann eben unterm Strich nur halb so viele Kranke aufnehmen. Auch hier gilt: Ziel der Übung war, zu zeigen dass es so keinen Sinn macht. Der Fokus darf eben nicht nur auf das Gesundheitswesen gerichtet sein (s.o.).

      1. Danke für die Erläuterungen! Ich denke, was sich die meisten Politiker fragen: Wo ist die Balance zwischen wirtschaftlichem Schaden durch einschränkende Maßnahmen vs. wirtschaftlichem Schaden durch massenhaft Infizierte und Überlastung des Gesundheitsssystems.

        Problem ist ja leider auch: Für jedes Prozent Arbeitslosigkeit gehen die Zahl der Toten ebenfalls nach oben. Das hat dann natürlich andere Gründe als das Corona-Virus, aber muss eben leider auch gegengerechnet werden. Sehr verzwickte Sache.

        1. Definitiv!

          Die jetzigen Maßnahmen sind sinnvoll für eine eng begrenzte Zeit von max. 4 – 6 Wochen. Spätestens ab Mai muss man zu einer gewissen Normalität zurückkehren, sonst ist der Schaden größer als der Nutzen.

          Lt. Wikipedia gibt es jährlich allein in D 20.000 „normale“ Grippetote. Weltweit sind es bei ca. 500 Mio. Influenza-Infizierten sogar 300.000 – 600.000. Daran hat sich bisher niemand wirklich gestört.

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