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Windräder statt Atomstrom

Einleitung

Am 15. April 2023 wurden in Deutschland die letzten drei Kernkraftwerke abgeschaltet. Davor waren bereits Ende 2021 drei Atomkraftwerke vom Netz genommen worden. Damit ist das Kapitel Kernenergie in Deutschland auf absehbare Zeit beendet. In der Konsequenz muss die nun zwangsläufig entstehende Energielücke entweder durch Stromimporte – pikanterweise auch von Atomstrom aus den Nachbarländern – oder durch Ausbau eigener alternativer Erzeugungskapazitäten (z.B. mehr Windräder) geschlossen werden. So lange es die noch nicht gibt, wird man notgedrungen wohl auch auf fossile Energieträger zurückgreifen müssen. Das ist klimapolitisch fatal, weil Atomstrom immerhin als quasi CO2-frei gelten konnte.

Die ersatzweise Kohleverstromung sollte sich aufgrund der dadurch verursachten besonders hohen CO2-Emissionen eigentlich verbieten. Und dennoch haben wir im Vorjahr genau dies gesehen, nachdem bereits im Dezember 2021 drei Atomkraftwerke außer Dienst gestellt worden waren. Trotz günstiger Wetterbedingungen in 2022 und der daraus resultierenden gestiegenen Wind- und Solarstromproduktion, hat dies zu einer um 13 Mrd. kWh höheren Kohleverstromung mit der Konsequenz von 12,5 Mio. Tonnen CO2 zusätzlich geführt. Dabei war der Gesamtstromverbrauch sogar geringer als im Jahr zuvor, was den Ausstoß von CO2 hätte sinken lassen sollen. Es steht zu befürchten, dass der Ausfall des Atomstroms auch in den nächsten Jahren noch zu erhöhten CO2-Emissionen im Bereich von Zig-Millionen Tonnen führen wird.

Unabhängig davon sieht das politische Programm indessen vor, den nunmehr fehlenden Atomstrom – und natürlich auch die Kohlestromproduktion – in erster Linie durch Windstrom zu ersetzen und dafür die Windkraft zügig auszubauen. Im Folgenden wollen wir beleuchten, was zu diesem Zwecke auf Seiten der Produktionskapazitäten vonnöten ist und auch fragen, wie viele Windräder dafür erforderlich sind.

Die Ausgangssituation

Die sechs seit 2021 in Deutschland abgeschalteten Atomkraftwerke produzierten zuletzt noch eine Energiemenge von 65 TWh pro Jahr (2021) und trugen so etwa 13 % zu unserer Stromversorgung bei. Das ist mehr als halb soviel wie die jährliche Windstromproduktion (2021: 112 TWh / 22 %) und übersteigt die gesamte Solarstromerzeugung (2021: 45 TWh / 9 %) um den Strombedarf von mehr als fünf Millionen Haushalten.

Was leisten Windenergieanlagen?

Der Windstrom wird von etwa 30.000 Windrädern produziert. Eine durchschnittliche Windenergieanlage erzeugt daher eine Strommenge von knapp 3,8 GWh pro Jahr. Um die sechs vom Netz genommenen Kernkraftwerke zu ersetzen, benötigen wir daher ca. 65.000 GWh / 3,8 GWh ≈ 17.000 Windkraftanlagen, also knapp 3.000 Windräder pro Atomkraftwerk.

Siebzehntausend Windräder? Das ist für viele sicher eine unerwartet große Zahl. Sie ist deswegen so groß, weil der Wind natürlich nicht immer gleichmäßig stark weht und der Stromertrag in Zeiten geringen Windes erheblich unter die Nennleistung der Windenergieanlage fällt. Tatsächlich steigt die abgegebene Leistung proportional zur dritten Potenz der Windgeschwindigkeit. Mit \(P\) als elektrischer Leistung des Windrads und \(v\) als Windgeschwindigkeit gilt daher

\begin{equation} P \sim v^{3} \end{equation}

Doppelte Windgeschwindigkeit bedeutet also \(2^{3}=2 \cdot 2\cdot 2 = 8 \)-fache Leistung. Die Kehrseite der Medaille ist: halbe Windgeschwindigkeit, nur ein Achtel der Leistung. Ein Windrad, das für eine Nennleistung von 3,2 MW bei 10 m/s (= 36 km/h) konzipiert ist, leistet bei 5 m/s (= 18 km/h) nur 0,4 MW, also 12,5 % der Nennleistung. Bei 2,5 m/s (= 9 km/h) sind es gar nur noch 0,05 MW = 50 kW; das ist ein Vierundsechzigstel, also gerade einmal 1,6 % der Nennleistung.

Stromertrag von Windrädern in der Praxis

Aufgrund des vorgenannten Zusammenhangs und des vor allem an Land recht ungleichmäßig wehenden Windes mit häufigen Schwachwindphasen, erreicht der Stromertrag einer Windenergieanlage nur einen Bruchteil des aufgrund der gegebenen Nennleistung theoretisch möglichen Maximalwerts. Um es an einem konkreten Beispiel deutlich zu machen: Wenn der Wind jeden Monat 3 Tage durchgehend mit der vollen Stärke von 10 m/s bläst und in der restlichen Zeit kontinuierlich mit 5 m/s weht – das würden wir immer noch als ziemlich windig empfinden, dann gibt ein Windrad im Mittel nur 21 % seiner regulären Leistung ab.

Typischerweise beträgt der Effizienzfaktor (manchmal auch Leistungsfaktor oder Leistungsausbeute genannt) von Windkraftanlagen an Land etwa 22 %. Eine 3,2-MW-Anlage leistet daher im Mittel ca. 0,7 MW.

Die installierte Leistung

Normalerweise werden natürlich die Nennleistungen der Windräder in den Vordergrund gestellt. Man spricht dann von „installierter Leistung“. Schon in 2021 summierte sich diese auf 63,5 GW. Das ist fast soviel wie der durchschnittliche Bedarf an elektrischer Leistung in Deutschland von etwa 70 GW. Das klingt nach sehr viel, und es ist auch viel, aber eben nur dann, wenn der Wind überall in der erforderlichen Stärke bläst, was nur äußerst selten der Fall ist – eigentlich nie.

An guten Tagen leistet die Windkraft in Deutschland bis zu 40 GW, an schlechten aber nahezu nichts, oder nur 5 GW, also weniger als ein Zwölftel der Nennleistung. Im Mittel sind es tatsächlich nur die genannten ca. 22 % des technischen Leistungsmaximums, entsprechend etwa 14 GW. In windstarken Jahren kann der Wert auch höher liegen, 2019 waren es z.B. über 23 %. Es gibt aber auch Schwachwind-Jahre, in denen der Effizienzfaktor noch nicht einmal die 20%-Grenze erreicht. Z.B. waren es 2016 nur gut 18%.

Das ist der Grund, warum man die o.g. große Anzahl von Windrädern braucht, um nur sechs Kernkraftwerke zu ersetzen. Wobei „ersetzen“ im strengen Sinn so einfach nicht möglich ist, weil man natürlich auch dann Strom benötigt, wenn nur wenig Wind weht und die Sonne nicht scheint. Um diese Phasen zu überbrücken kommt man um zusätzliche Backup-Kraftwerke oder große Speicherkapazitäten – die derzeit aber noch kaum verfügbar und zudem enorm teuer sind – nicht herum.

Wieviel Windräder braucht man?

Nun baut man heute viel größere Windräder, eher Groß-Windkraftanlagen mit nicht selten 150 bis 170 m Turmhöhe und einem Propellerradius von bis zu 70 m. Solche Anlagen leisten grundsätzlich deutlich mehr als der Durchschnitt der Altanlagen, sie unterliegen aber den selben physikalischen Gesetzmäßigkeiten. Da sie aber höher sind, profitieren sie eher von den tendenziell besseren Windverhältnissen in den bodenfernen Luftschichten.

Die genannten neuen Groß-Windkraftanlagen sind oft für eine Nennleistung von 5 – 6 MW konzipiert. Legen wir für die Rechnung 5 MW zugrunde und unterstellen wir einen Effizienzfaktor von mindestens 21 %. Um auf dieser Basis die sechs abgeschalteten Atomkraftwerke (65 TWh Jahresertrag) zu ersetzen, benötigen wir daher 65.000.000 MWh / (5 MW * 8760 h * 0,21) ≈ 7.000 Windräder. Anmerkung: 1 Jahr hat 8760 Stunden. Pro AKW sind das also ca. 1.100 große Windräder. Im Folgenden rechnen wir mit diesen 7.000 Groß-Windkraftanlagen als Ersatz für die sechs Kernkraftwerke.

Wir bauen einen Mega-Windpark

Die größte Ausdehnung Deutschlands in der Nord-Süd-Richtung beläuft sich auf 876 km. Die Entfernung zwischen Flensburg und Oberstdorf (Luftlinie) beträgt 822 km.

Unterstellen wir, die Windräder würden im Abstand von 500 m nebeneinander aufgestellt. Das ist aus wissenschaftlicher Sicht ein empfehlenswerter Abstand orthogonal zur Hauptwindrichtung, um Interferenzen und Minderleistungen zu vermeiden. Demnach erstrecken sich die 7.000 Windräder über eine Gesamtlänge von 3.500 km. Wenn wir sie also zwischen Oberstdorf und Flensburg aufstellen wollen, dann können wir in einer Reihe nur 822 / 0,5 = 1.644 Windräder nebeneinander unterbringen.

Um alle 7.000 aufzureihen, müssen wir daher in einem gewissen Abstand hinter der ersten Reihe eine zweite, dritte und vierte aufbauen, und auch noch eine fünfte über mehr als 200 km. Nehmen wir auch diesbezüglich den nach wissenschaftlicher Beurteilung zu präferierenden Mindestabstand (in der Hauptwindrichtung) von 1 km. Anmerkung: In vielen existierenden Windparks stehen die Windräder zu eng aufeinander, was auf Kosten des Ertrags geht.

Der Mega-Windpark von Flensburg bis Oberstdorf und die weiteren Folgen aus dem Atomausstieg. Natürlich ist diese Anlage nur als symbolisches Gebilde zu verstehen, um die Dimensionen deutlich zu machen.

Der Mega-Windpark zieht sich also quer durch Deutschland: alle 500 m steht ein Windrad mit einer Höhe des Turms von 150 – 170 m  (ungefähr die Nabenhöhe) und einer Scheitelhöhe inkl. des Propellers von bis zu 250 m. Und jeweils 1 km dahinter verläuft die zweite, dahinter die dritte, dann die vierte Reihe und schließlich auch noch eine dünner besetzte fünfte Reihe.

Ressourcen für den Mega-Windpark

Der Ressourcenbedarf für den Bau der 7.000 Windräder ist beachtlich: 1,4 Mio. Tonnen Stahl, 7 Mio. Kubikmeter Beton, dazu noch Unmengen an Kupfer, Aluminium und Glas. Aber wir wollen ja sauberen Strom. Und tatsächlich ist der erzeugte Windstrom, trotz des großen initialen Materialaufwands, mit 5 bis 10 g CO2 pro kWh unterm Strich ausgesprochen CO2-arm. Der zur Herstellung erforderliche Energieaufwand amortisiert sich innerhalb von 12 Monaten.

Gleichfalls hoch ist der Flächenbedarf für den Mega-Windpark. Inklusive einer Abstandszone von beidseitig 500 m kommen wir bei 822 km Länge und 4,5 km Breite auf 3.700 Quadratkilometer. Das sind etwa 1 % der Landesfläche von Deutschland. Immerhin kann man dieses Areal zum größeren Teil noch anderweitig nutzen, z.B. für Ackerbau und Viehzucht.

Die Kosten für den Bau der 7.000 Groß-Windkraftanlagen sind ebenfalls gewaltig. Mit etwa 35 Milliarden € muss man wohl rechnen, wobei die Ausgaben für den erforderlichen Netzausbau noch hinzukommen. Dennoch gilt: Bei einer Betriebszeit von 20 oder 30 Jahren bleibt der Kostenaufwand pro kWh produzierten Stroms insgesamt relativ niedrig. Erwartungsgemäß ist daher Windstrom in der Erzeugung mit 5 – 10 ct/kWh vergleichweise billig (jedenfalls dann, wenn man die versteckten Mehrkosten für Backup-Kraftwerke und Speicher außen vor lässt). Aufgrund der Belastung mit Steuern, Abgaben, Umlagen und Gebühren, kommt das allerdings beim Verbraucher – wie auch in anderen Fällen – absehbar nicht an.

Die Deutschlandkarte zeigt den Mega-Windpark anhand von 40 kleinen Quadraten auf einer geraden Linie zwischen Oberstdorf und Flensburg. Jedes der Quadrate steht für einen „kleinen“ Windpark mit 20 km Länge und 4 – 5 km Breite, bestehend aus jeweils 175 Windrädern.

Natürlich kann man die Windräder auch etwas näher zusammenrücken, damit man weniger Fläche benötigt. Das geht dann aber – wie bereits oben gesagt – auf Kosten der Effizienz.

Was gewinnen wir damit?

Mit diesem Windkraftpark quer durch Deutschland können wir die sechs seit 2021 außer Dienst gestellten Atomkraftwerke ersetzen. Jedenfalls einigermaßen, denn wenn der Wind nicht weht, nützen auch diese 7.000 Windräder nichts. Dann müssen wir Kohlestrom produzieren, ihn vielleicht aus Polen importieren, oder Atomstrom aus Frankreich, Belgien oder Tschechien beziehen. Alternativ können wir die Stromlücken mit Backup-Gaskraftwerken schließen – die wir allerdings in größerer Anzahl noch bauen müssen. Indessen ist auch die letztgenannte Option auf Basis modernster GuD-Kraftwerke mit 400 bis 500 g CO2 pro kWh Strom belastet (Anmerkung: GuD = Gas-und-Dampfturbine).

Verschärft wird die Problematik durch die angestrebte Wärmewende (Tausch von Gasheizungen gegen Wärmepumpen) und die Mobilitätswende, die beide sogar schon kurz- und mittelfristig einen erhöhten Strombedarf nach sich ziehen werden.

Wir brauchen also Strom, und dieser Strom muss sauber sein. Anderfalls macht weder die Wärmewende noch der Umstieg auf Elektromobilität überhaupt irgendeinen Sinn. Deswegen ist die Entscheidung zur Abschaltung der Atomkraftwerke grob gegen die Vernunft gerichtet.

Dreckiger Strom für die Wärmewende und für die Elektromobilität

Apropos Kohlestrom: Natürlich dauert es einige Jahre, bis die oben genannten 7.000 Windräder gebaut sind. Wenn wir die derzeitige Geschwindigkeit von etwa 0,8 – 1,5 Windenergieanlagen pro Tag zugrunde legen, dann brauchen wir dafür 13 – 24 Jahre. Aber auch wenn es schneller gehen sollte – jedenfalls ging es zwischen 2010 und 2019 mit 4 bis 5 (allerdings kleineren) Windrädern pro Tag deutlich flotter – werden wir in den nächsten Jahren noch auf Kohlestrom angewiesen sein. Zumindest im Umfang des ausgefallenen Atomstromanteils wäre das vermeidbar gewesen. Und dies völlig unabhängig von den zu bauenden Windrädern.

10 Jahre ohne eigenen Atomstrom könnte auf eine ersatzweise Kohleverstromung mit einem zusätzlichen Ausstoß von bis zu 600 Mio. Tonnen CO2 hinauslaufen.

Ideologische Sturheit statt „Klimaschutz“

Unter Umständen kann man ja noch verstehen, dass man im dichtbesiedelten Deutschland keine neuen Kernkraftwerke bauen will. Auch wenn es sich dabei um eine Hochsicherheitstechnologie handelt, etwa wie das Fliegen und wie die Hochleistungsmedizin. Aber sicher laufende Atomkraftwerke abzuschalten und dafür Kohlekraftwerke zu betreiben, ist an Torheit kaum zu überbieten. Es ist die Hybris der Irrationalen. Um es mit den Worten des Aufklärers Georg Christoph Lichtenberg auszudrücken:

«In der Dummheit liegt eine Zuversicht, darob man rasend werden möcht‘».

Kann man denn jemand ernst nehmen, der für Klimaschutz wirbt, dann aber aus nicht nachvollziehbaren Gründen bereit ist, Hunderte von Millionen Tonnen CO2 zusätzlich in die Atmosphäre zu pusten? Und im gleichen Atemzug wird das dennoch als Beitrag zur Energiewende und zum Klimaschutz ausgegeben.

Mit der Abschaltung der Atomkraftwerke verhält es sich etwa so, als wolle man vom alkoholfreien Bier auf Mineralwasser umsteigen, und weil das dann nicht verfügbar ist, trinkt man stattdessen Schnaps.

Resümee

War es vernünftig, aus der Kernenergie auszusteigen? War es vernünftig, sicher zu betreibende Atomkraftwerke abzuschalten? – Ja, in einer halbwegs idealen Welt ohne globale Erwärmung wäre es rational gewesen. In einer Welt ohne Kriege und ohne die Notwendigkeit einer sicheren Energieversorgung. In einer solchen Welt leben wir allerdings nicht.

Ist es vernünftig, stattdessen auf Windkraft zu setzen? – Ja, aber nur auf Basis eines durchdachten und funktionierenden Plans unter Einbeziehung von Speichern und Backup-Kraftwerken, konkreter Realisierungsschritte und Zug um Zug.

Damit wir uns nicht missverstehen: Neben der Photovoltaik und den leider weitgehend fehlenden und extrem teuren Speichermöglichkeiten können Windenergieanlagen einen Beitrag zur Energiewende leisten, vorausgesetzt, sie werden dort aufgestellt, wo die Erträge hoch sind und die Beeinträchtigungen für Mensch und Umwelt klein bleiben. Effiziente, am richtigen Ort platzierten Windräder sind also potentiell ein echter Mehrwert. Aber auch um eine im Prinzip gute Sache Lösung umzusetzen, sollte man den Verstand bemühen und nicht den zweiten Schritt vor dem ersten tun.

Um es an einem simplen Beispiel zu persiflieren:

Wenn ich meinen Kühlschrank durch einen neuen ersetzen möchte, dann schmeiß ich den alten nicht weg, bevor der neue geliefert wurde.

Und wenn ich zwei Kühlschränke besitze? Einen ganz alten mit der grottenschlechten Energieeffizienzklasse G und einen relativ neuen der Effizienzklasse A++ mit Eisfach? Dann sortiere ich vernünftigerweise zuerst die alte G-Klasse-Kröte aus. Auch wenn mir am A++-Kühlschrank die Platzverschwendung für das nicht benötigte Eisfach missfällt.

Klimasünder Verkehr – Klimakiller SUV?

In den Medien wird man spätestens seit der Beschleunigung in der Klimadiskussion immer wieder mit der Behauptung konfrontiert, insbesondere der Verkehrssektor trage zur hohen CO2-Emission Deutschlands bei. Nicht selten wird als einer der Hauptgründe dafür genannt, es sei die hohe Anzahl der SUVs – von manchen auch als „Stadtgeländewagen“ bezeichnet –  dafür verantwortlich. Ist das wirklich zutreffend? Ist der Verkehrssektor tatsächlich der Hauptklimasünder? Tragen SUVs wirklich so prominent zu unserem CO2-Ausstoß bei? Sind sie tatsächlich das große Problem und geradezu Klimakiller? Und was genau unterscheidet ein SUV von einem „normalen“ Auto?

Die Bedeutung des Verkehrssektors für die CO2-Emission.

Entscheidend ist zunächst einmal die gesamte CO2-Emission in Deutschland. Sie belief sich 2017 auf ca. 907 Mio. Tonnen. Absolut gesehen ist das nicht wenig, auch wenn es nicht einmal 2% des weltweiten CO2-Ausstoßes sind. Wie der Blick nach Frankreich zeigt, könnte der Wert aber deutlich geringer ausfallen.

Jährliche-Treibhausgase-in-Deutschland-seit-1990-nach-Treibhausgasen
Jährliche Treibhausgase in Deutschland seit 1990 nach Treibhausgasen

Frankreich emittiert nur etwa  400 Mio. Tonnen CO2, also 55% weniger als Deutschland. Vergleich man die Wirtschaftsleistung und die Einwohnerzahl, dann könnte Deutschland mittels eines ähnlich intensiven Atomkraftausbaus wie Frankreich mit einer Kohlendioxid-Emission von ungefähr 550 Mio. Tonnen auskommen. Das wären 350 Mio. t weniger als heute. Diese Menge entspricht der Summe der gesamten jährlichen CO2-Emission durch Transport und Verkehr von halb Europa (z.B. die Länder Deutschland, Östereich, Schweiz, Tschechien, Slowakei, Niederlande, Belgien, Norwegen, Schweden, Dänemark, Finnland, Portugal und Griechenland). Tatsache ist aber, dass wir, anders als Frankreich, noch zu einem erheblichen Teil auf Kohlekraft angewiesen sind. Dies gilt insbesondere für die Grundlast, denn Solarstrom und Windkraft sind nicht grundlastfähig und können daher Kohle- oder Atomstrom nur bedingt ersetzen.

Unabhängig davon, wie man zur Kernkraft steht, war die Entscheidung, aus der Atomstromproduktion auszusteigen ein klimapolitischer Super-GAU. Nun müssen wir die Folgen dieser Fehlentscheidung ausbaden – und dafür zahlen. Im aktuellen Klimapaket wird das schon deutlich und in Ansätzen sichtbar. Der Fokus liegt dabei auf dem Verkehrssektor, als könne die CO2-Gesamtemission durch ein Umsteuern in der Mobilitätspolitik wesentlich beeinflusst werden. Das ist ein Trugschluss. Es ist allenfalls ein kleiner Baustein (s. a. Individuelle Mobilität und globale Erwärmung).

Jährliche Treibhausgas-Emissionen in Deutschland nach Sektoren
Jährliche Treibhausgas-Emissionen in Deutschland nach Sektoren

Zunächst einmal muss man nüchtern erkennen, dass das CO2-Aufkommen in Deutschland nur zu einem Bruchteil von weniger als 20% überhaupt vom Verkehr abhängt. Die Gesamtemission an CO2 betrug 2017 ca. 907 Mio. Tonnen. Davon gehen auf den Verkehrssektor etwa 164 Mio. Tonnen. Das ist ein Anteil von 18%. Die Energiewirtschaft, das verarbeitende Gewerbe, die Industrie und die Beheizung von Wohnungen bringen es zusammen auf 657 Mio. t CO2 (2016) entsprechend  72% der deutschen Gesamtemission. Man muss dabei auch noch berücksichtigen, dass im oben angegebenen Wert für den Verkehrssektor die Emissionen des Transports (Güterverkehr, Lieferverkehr) mit enthalten sind – und die können vom Autofahrer kaum beeinflusst werden.

Man entnimmt dieser Gegenüberstellung schon von den Größenverhältnissen her, dass der Verkehrssektor allein kaum für die fragwürdige Auszeichnung als Hauptklimasünder in Frage kommt, wie dies von Klimaagitatoren gerne in den Raum gestellt wird. 

Dies wird gestützt durch einen zweiten Blickwinkel: Der deutsche Tourismus verursacht nach Berechnungen der University of Sydney 329  Millionen Tonnen CO2-Äquivalente, also doppelt so viel wie der inländische Verkehrssektor in Deutschland. Basis für diese Schätzung sind umfassende Daten zum Tourismus in 189 Ländern, unter anderem von der Weltorganisation für Tourismus (UNWTO). Hier geht es also um den CO2-Fußabdruck, den der Tourismus von Deutschen global hinterlässt. Darin sind also nicht nur die eigentlichen Reisen per Auto, Flugzeug, Schiff oder Bahn enthalten, sondern auch die Aktivitäten der Urlauber, Ihre Verpflegung und die Übernachtung im In-und Ausland. Es ist eine globale, nicht eine auf Deutschland fokussierte Betrachtung und spiegelt insofern eine andere Sichtweise wider. Teilweise gehen da natürlich auch Emissionen aus dem Autoverkehr im Inland mit ein.

Stark wachsender Güterverkehr, mehr CO2.

Immerhin 5% der inländischen CO2-Emission gehen auf den Transport von Gütern zurück. Angesichts der deutlich um 30% reduzierten spezifischen Emissionen pro Tonnenkilometer bezogen auf 1995 ist dies verwunderlich. Der Grund dafür: Der Verkehrsaufwand der Lkw ist zwischen 1995 und 2017 von 279,7 Mio. Tonnenkilometer auf 475,7 Mio. Tonnenkilometer gestiegen – ein Plus von 70%. Bei den Kohlendioxid-Emissionen wurde daher der markante technische Fortschritt in der Motoreneffizienz durch die Mehrkilometer wieder aufgezehrt und sogar überkompensiert. Deswegen erhöhten sich die absoluten Kohlendioxid-Emissionen im Straßengüterverkehr zwischen 1995 und 2017 von 34,2 auf 41,0 Millionen Tonnen. Das ist ein relativer Anstieg um 20%.

Spezifische Emissionen LKW
Spezifische Emissionen LKW

Nicht zuletzt darauf sind die gestiegenen CO2-Emissionen im Verkehr zurückzuführen. Letztlich ist dieser Aufwuchs im Warenverkehr ein Ergebnis der intensiven wirtschaftlichen Verflechtung innerhalb der EU: Das ist politisch gewollt. Hier zeigt sich eben die Kehrseite der Medaille. Wenn das EU-Parlament nun den „Klimanotstand“ ausruft, dann sollten die Parlamentarier einmal in sich gehen und sich fragen, was sie selber zur gegenwärtigen Situation beigetragen haben. Der einzelne EU-Bürger kann diesen Aspekt jedenfalls kaum beeinflussen.

Der Autoverkehr taugt nicht als Sündenbock.

Auf PKWs entfallen gut 120 Mio. Tonnen der Kohlendioxid-Emissionen. Im Ergebnis sind das 13% des gesamten CO2-Aufkommens in Deutschland.  Wie bei den LKWs kann man auch hier konstatieren, dass moderne Autos Umwelt und Klima weniger belasten als in der Vergangenheit. Die spezifischen Emissionen von CO2 sind dabei seit 1995 um 15% gesunken. Wohlgemerkt, nicht die Testwerte, sondern die tatsächlichen Emissionen. Ebenfalls erwähnenswert: Die spezifischen Emissionen von Stickoxiden und von Feinstaub konnten im selben Zeitraum um 55% bzw. um 79% reduziert werden.

Gleichzeitig hat aber auch der PKW-Verkehr stark zugenommen, was den Fortschritt in der Technik zum Teil leider wieder aufgezehrt hat (2017 in Bezug auf 1990, mit einem zwischenzeitlichen Maximum um 1999). Besonders eklatant ist dies bei Dieselfahrzeugen zu sehen: Die erbrachte Fahrleistung ist seit 1995 um 322% gestiegen. Immerhin sind die gesamten Stickstoffoxid-Emissionen aus Pkw von 1995 bis 2017 um 48% gesunken. Sogar stärker noch die Feinstaub-Emissionen, die, trotz des höheren Verkehrsaufkommens um nahezu 76% zurückgegangen sind.

Spezifische Emissionen PKW
Spezifische Emissionen PKW

Kurzes  Resümee dazu.

  1. Die CO2-Emissionen aus dem PKW-Verkehr tragen nur zu etwa 13% zur Kohlendioxidbelastung in Deutschland bei. Dieser Wert ist aufgrund der höheren Mobilität im Vergleichszeitraum seit 1990  zwar nicht signifikant gesunken, es ist aber mitnichten so, dass der Verkehrssektor bzw. speziell der Autoverkehr als Klimasünder apostrophiert werden kann.
  2. Die CO2-Emissionen aus dem LKW-Verkehr sind um 20% gestiegen, vor allem wegen des dramatisch angewachsenen Warenverkehrs. Hier sollte die Politik endlich die Hausaufgaben machen und die nötigen Infrastrukturmaßnahmen ergreifen, die es erlauben, größere Anteile des Ferngütertransports auf die Schiene zu verlagern – was politisch seit 30 Jahren versprochen wird aber noch nicht einmal ansatzweise umgesetzt wurde.

Was eigentlich sind SUVs?

Kommen wir nun zu den vielgeschmähten SUVs. Wie verhält es sich mit ihrem Beitrag zur CO2-Emission? Zunächst einmal die Frage, was ist überhaupt ein SUV? Na ja, intuitiv scheint das jeder zu wissen: hoch, breit, die Sicht versperrend, stark motorisiert, in der Stadt Parkplätze blockierend und immer im Wege stehend. „Stadtgeländewagen“ werden sie von manchen genannt. Fahrzeuge also, die technisch fürs Gelände entwickelt wurden, aber nur in der Stadt bewegt werden und dort deplatziert wirken, um noch das harmloseste Attribut zu nehmen. Wie man den Medien entnehmen kann, sind mittlerweile 30% aller Neuzulassungen solche „Monster“. In 2019 waren das bereits mehr als eine Million Fahrzeuge. So jedenfalls die Statistik des Kraftfahrtbundesamts (KBA).

Zur Klassifizierung von SUVs erklärt KBA-Pressesprecher Stephan Immen gegenüber auto motor und sport: „Als SUV bezeichnen wir Fahrzeuge mit Offroad-Charakter. Das bedeutet, sie lehnen sich in ihrer Form an Geländewagen an, sind etwas höhergelegt und verfügen über einen höheren Einstieg. Verbindliche Größen zur Definition gibt es nicht, das Segment “SUV„ dient uns aber auch nur zur statistischen Betrachtung.“

Was hier als SUV gezählt wird, sind in den meisten Fällen harmlose, eher der Bequemlichkeit dienende und völlig durchschnittlich motorisierte „Hochlimousinen“. In Wahrheit keine SUVs, also Sports-Utility-Vehicles, sondern lediglich UVs: praktische und bequeme Autos für jedermann.

Schauen wir uns Beispiele an: In der Statistik des KBA werden z.B. die folgenden Autos unter der Fahrzeugklasse „SUV“ subsumiert:

  Leergewicht in kg Länge
in m
Höhe
in m
Verbrauch in l/100 km Bemerkung
Fiat Sedici 1400 4,11 1,62 4,9 Diesel (135 PS)
Citroen Cactus 1040 4,16 1,49 3,4 Diesel (99 PS)
Suzuki Vitara 1150 4,17 1,60 5,3Super (112 PS)
Suzuki Vitara D 1300 4,17 1,60 4,2 Diesel (120 PS), Allrad
Opel Mokka 1200 4,28 1,65 4,3 Diesel (136 PS)
BMW X1 1600 4,45 1,60 4,1 Diesel (150 PS)

Die Liste solcher vergleichsweise unauffälliger PKWs ließe sich noch lange fortsetzen. Die Abmessungen, Gewichte und Verbrauchswerte (und damit auch die CO2-Emissionen) dieser SUVs liegen im üblichen Rahmen dessen, was auch andere Kompaktfahrzeuge  (VW Golf, Opel Astra, Ford Focus, Renault Megane) oder die ebenfalls weit verbreiteten Mittelklassefahrzeuge (3er BMW, Mercedes C-Klasse, Audi A4, VW Passat, Opel Insignia, Ford Mondeo) aufweisen – bis auf die Fahrzeughöhe natürlich.

Was in diesem Zusammenhang ebenfalls beachtet werden sollte: Der Anstieg bei den Neuzulassungen von SUVs geht einher mit einem Rückgang bei den Mini-Vans (-23% im Vergleich 2018 gegenüber 2017) und Großraum-Vans (-15% im Vergleich 2018 gegenüber 2017). Teilweise ersetzen also SUVs die etwas aus der Mode gekommenen Vans. Schon aufgrund von Größe und Gewicht vermutet man zu Recht, dass letztere mit Sicherheit nicht umweltfreundlicher waren als die heutigen SUVs.

Abgrenzung SUVs und Geländewagen.

Das KBA ist also unscharf, was die Klassifikation von SUVs angeht. Immerhin werden in der Statistik aber SUVs und Geländewagen klar  voneinander getrennt. Geländewagen, das sind die richtig dicken Brummer: Audi Q7, BMW X5, Mercedes ML, Porsche Cayenne und andere. Viele mit Gewichten um 2 Tonnen und mehr.  – Bloß, die wirklich umweltschädlichen starken Motorisierungen kann sich kaum jemand leisten. Keines der genannten Modelle kommt über 10.000 Neuzulassungen im Jahr hinaus. Einen prominenten Ausreißer gibt es: Der VW Tiguan schafft es auf 75.000 Neuzulassungen (2018). Allerdings taugt der, trotz seiner 1,65 m Höhe, auch nicht wirklich als Klimakiller: Gewicht 1500 kg, 4,48 m lang, 1,65 m hoch, Allrad, Verbrauch 5,8 l/100 km (133 g CO2 pro km, als Benziner) – das ist in etwa der aktuelle Verbrauchsschnitt aller Fahrzeuge.

VW Tiguan
VW Tiguan – wird in der Statistik des KBA nicht als SUV, sondern als Geländeawagen geführt

Richtigerweise muss man also SUVs und Geländewagen in der Berichterstattung voneinander trennen, wie das vom KBA auch gemacht wird. In der Öffentlichkeit kommt die Unterscheidung aber nicht wirklich an. Seien wir ehrlich, diese Differenzierung überfordert offenbar die Kommunikation. Z.B. stellt Porsche gar keinen SUV her: die üblicherweise  solchermaßen bezeichneten Modelle (Cayenne, Macan) laufen in der Statistik des KBA als Geländewagen, werden aber in der öffentlichen Wahrnehmung als SUVs gesehen.

Das negative Image von SUVs wird von Modellen geprägt, die nach Lesart des KBA gar keine SUVs sind. In den Medien kommt  dieser Unterschied ebenfalls kaum an. Schlagzeilen wie „Immer mehr SUVs“ oder „Bereits 1 Million Neuzulassungen von SUVs in 2019“ müssen niemand beunruhigen, weil  damit zum größten Teil relativ harmlose Fahrzeuge mit vernünftigen Verbrauchswerten erfasst werden. Das Augenmerk muss eher auf den Geländewagen liegen, die indes, wie oben schon erwähnt, zahlenmäßig deutlich weniger zu Buche schlagen.

Wie hoch ist der Beitrag von Geländewagen zur CO2-Bilanz?

Alle Geländewagen zusammen kommen großzügig gerechnet auf etwa 300.000 Fahrzeuge p. a., nicht auf eine Million, wie die Meldungen in den Medien suggerieren. Die wenigsten davon sind echte Dreckschleudern, dafür fehlt ihnen einfach die motorische Power. Darunter sind Fahrzeuge wie der VW Tiguan (s.o.) oder der Volvo XC40 mit Verbrauchswerten im Durchschnitt des Fahrzeugbestands, aber auch welche wie der Hummer H2 mit 23 l / 100 km (zum Glück nur mit einem Gesamtbestand von 1431 Fahrzeugen per Ende 2018).

Tun wir mal so, als seien diese 300.000 Fahrzeuge sämtlich hochmotorisiert und würden im Schnitt 50% mehr CO2 emittieren (200 g/km), als dies bei Wahl eines „normalen“ Autos (133 g/km) möglich wäre. Unterstellen wir ferner eine Fahrleistung von 15.000 km p.a. Dann haben wir dadurch also einen um 0,3 Mio. Tonnen höheren CO2-Ausstoß. Das war‘s denn eigentlich schon an negativer Auswirkung  auf das Klima, denn die anderen ca. 1 Mio. der sogenannten SUVs sind in Wahrheit ganz normale PKWs, tragen also nicht erwähnenswert zu einer zusätzlichen Verschlechterung der CO2-Emission bei.

Tatsächlich erhöhen die echten „Stadtgeländewagen“ den verkehrsbedingen Anteil an den CO2-Emissionen gerade einmal um etwas mehr als 0,03%. Das ist in der Gesamtschau also der Unterschied zwischen „Alle fahren sozialverträgliche normale Autos“ und „Einige fahren richtig dicke SUVs“ (genaugenommen Geländewagen).

Der Mythos vom Klimakiller SUV.

Nun ja, mag man einwenden, 300.000 Tonnen CO2, das ist doch eine ganze Menge. Zweifellos! Es rechtfertigt aber in keiner Weise, mit dem Finger auf SUV- oder Geländewagen-Besitzer zu zeigen. Das ist ein völlig irrationaler Empörungsimpuls. Wie wahr dies ist, mag man an den folgenden Beispielen erkennen: 

  1. Schon 0,3 g Fleisch pro Person und Tag sind mit der gleichen Menge CO2 von 300.000 t pro Jahr belastet. Das entspricht einer kleinen Fleischportion von 110 g pro Person und Jahr. Wenn also alle 80 Mio. Einwohner Deutschlands einmal im Jahr auf eine Essensportion mit zwei Frikadellen verzichten, ist damit der CO2-Effekt der SUVs bereits kompensiert.
  2. Die im Schnitt pro Auto und Tag zurückgelegte Strecke beträgt ca. 40 km. Bei einem durchschnittlichen CO2-Ausstoß von 133 g pro km entspricht dies einer Menge von 240.000 Tonnen CO2. Damit sind wir bereits wieder in der Größenordnung des SUV-Effekts. Was heißt das? Sofern alle PKWs an einem Tag im Jahr in der Garage bleiben ODER wahlweise an 365 Tagen im Jahr einfach um 140 m weniger bewegt werden, dann ist damit die Mehrbelastung durch SUVs bereits ausgeglichen.

Angesichts dessen erscheint das Attribut „Klimakiller“ schon reichlich übertrieben. Bei Lichte betrachtet, ist das Ganze noch nicht einmal eine Meldung wert.

Natürlich soll es hier nicht darum gehen, die Mehremission durch SUVs, so gering sie auch seien, durch entsprechendes Verhalten aller anderen zu kompensieren. Die beiden Beispiele sollen nur zeigen, dass die Empörung über SUVs bzw. Geländewagen nicht rational begründbar ist. Mit der gleichen Verve könnte man alle an den Pranger stellen und ihnen zurufen: „Verzichtet auf 0,3 g Fleisch pro Tag“ oder „Legt an jedem Tag 140 m weniger mit dem Auto zurück“. – Es wird damit offenkundig, wie grotesk der mediale Krawall gegen SUVs bzw. Geländewagen tatsächlich ist. Nun ja, wir leben in Zeiten der irrationalen Empörung über nahezu alles.

Blick auf den gesamten Fahrzeugbestand und Resümee.

Das war die Betrachtung bezogen auf die Neuzulassungen eines Jahres. Um ein ganzheitliches Bild zu bekommen, müssen wir uns den Gesamtbestand anschauen, auch wenn es dabei eigentlich nur um den Blick in die Vergangenheit geht. Unter den 40 meistverbreiteten PKWs sind wie viele SUVs? – Genau eines, der Nissan Qashqai auf Platz 38. Das zeigt schon, dass wohl doch viel weniger SUVs gefahren werden, als man gemeinhin denkt. Tatsächlich liegt ihr Anteil derzeit bei 6,7% aller Fahrzeuge. Wobei hier wieder alles Mögliche als SUV gezählt wird (s. o.).

Richten wir daher den Blick wieder auf die Geländewagen, genauer, auf die „bösen Stadtgeländewagen“. Ihr Anteil im Bestand liegt bei 5% bzw. 2,4 Mio. Fahrzeugen. Unterstellen wir, dass diese Fahrzeuge mit ordentlich Power ausgestattet und mit einem deutlich erhöhten CO2-Ausstoß (+ 50%) unterwegs sind. Insgesamt tragen diese Fahrzeuge sodann zu einer CO2-Mehrbelastung von ca. 2,4 Mio. t bei. Das ist jetzt schon eine andere Hausnummer. Oder doch nicht? – Die CO2-Gesamtemission wird dadurch um gut 0,26% erhöht. Das ist zweifellos unnötig und wäre bei einem Verzicht auf diese vermeintlichen „Monster“ vermeidbar. Es ändert aber nichts daran, dass 2,5 g Fleisch pro Person und Tag in etwa den gleichen Effekt haben. Oder einen Kilometer zu Fuß gehen statt Autofahren für alle.

Übrigens, die ca. 4,5 Mio. Mallorca-Urlauber aus Deutschland belasten durch ihre Flugreise nach Palma und zurück die CO2-Bilanz um mehr als 3 Mio. Tonnen pro Jahr entsprechend 0,35% der CO2-Gesamtemission. Das ist bereits mehr als der ganze Effekt der “bösen Geländewagen“. Die SUVs in der Definition des KBA fallen hier gänzlich unter den Tisch, weil ihr Einfluss kaum merklich ist.

Schlussbemerkung.

Der Autor fährt keinen Stadtgeländewagen, noch nicht einmal ein SUV. Er ärgert sich gelegentlich ebenfalls über die Existenz dieser Fahrzeuge, sieht aber unter rationalen Gesichtspunkten keinen Grund, gegen SUVs etc. Stimmung zu machen. Wer dies tut, sollte nicht versäumen, mit der gleichen Verve gegen Menschen zu polemisieren, die einmal im Jahr ein Steak essen oder nach Mallorca fliegen, mit dem Auto eine Urlaubsreise machen, ihre Wohnung auf 22 Grad heizen, jeden Tag warm duschen, einen 55 Zoll Flachbildfernseher besitzen, regelmäßig im Internet surfen oder sich jedes Jahr neue Klamotten kaufen.

Anmerkung: Die Zahlen stammen teilweise aus 2016, 2017, 2018 oder 2019, je nachdem, was als neueste Zahl verfügbar war. Durch die Bezugnahme auf Zahlen aus unterschiedlichen Jahren (z.B. CO2-Emission, Zulassungszahlen, Bestandszahlen) entstehen kleinere systematische Fehler, die indes in der Gesamtschau vernachlässigbar sind. Die Fehler wirken sich allenfalls an der zweiten oder dritten Stelle hinterm Komma aus. Unabhängig davon muss man sehen, dass auch die CO2-Erhebung an sich fehlerbehaftet ist (Mittlere Abweichung aus unterschiedlichen Erhebungen: 0,7% bis 2,7% [6 – 24 Mio. Tonnen CO2], s. Link Berichterstattung unter der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen und dem Kyoto-Protokoll 2019, Abschnitt 3.2.1, S. 147 ff.).

Quellenauszug:

  1. https://www.auto-motor-und-sport.de/neuheiten/segment-suv-definition-diskussion-gelaendewagen/
  2. https://www.tagesschau.de/wirtschaft/suv-millionen-marke-101.html
  3. https://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-632301.html
  4. https://www.tagesschau.de/wirtschaft/autos-suv-105.html
  5. https://www.quarks.de/technik/mobilitaet/darum-sollten-wir-ueber-suv-diskutieren-statt-ueber-diesel/
  6. https://www.swr.de/home/So-verbreitet-sind-SUVs-Ranking-der-beliebtesten-Automodelle,beliebteste-automodellreihen-deutschland-100.html
  7. https://www.n-tv.de/wirtschaft/SUV-Zulassungen-erreichen-Rekordhoch-article21102967.html
  8. https://www.autozeitung.de/zulassungsstatistik-140455.html
  9. https://www.auto-motor-und-sport.de/verkehr/suv-neuzulassungen-deutschland-oktober-2019-daten-zahlen/
  10. https://www.swr.de/swraktuell/Klimafreundliche-Mobilitaet-Pro-und-Contra-Extra-Kfz-Steuer-fuer-SUVs,suv-steuer-pro-contra-100.html
  11. https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/immer-mehr-suv-neuzulassungen-das-autokaufverhalten-ist-in-einer-albernen-trotzphase/25324442.html
  12. https://www.umweltbundesamt.de/daten/verkehr/emissionen-des-verkehrs#textpart-3
  13. https://www.stern.de/reise/fernreisen/klimakiller-tourismus–reisen-ist-noch-viel-schaedlicher-als-angenommen-7973902.html
  14. https://www.kba.de/DE/Statistik/Fahrzeuge/Neuzulassungen/Segmente/2018/2018_segmente_node.html
  15. https://www.kba.de/DE/Statistik/Fahrzeuge/Bestand/Segmente/segmente_node.html
  16. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/153249/umfrage/gelaendewagen-neuzulassungen-in-deutschland-nach-modellreihen/