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Wohin steuert Deutschland?

Leistung war gestern, heute geht’s um Haltung und Werte

Schon heute sind in Deutschland immer weniger dazu imstande, an den technologischen Lösungen für die Gegenwart und die Zukunft zu arbeiten. Symposien von Geisteswissenschaftlern über den Klimawandel und quasi-religiöse Bewegungen zur Abwehr der vermeintlich drohenden Apokalypse gebären keine Lösungsansätze für die Gestaltung der Herausforderungen in ihrer realen Komplexität. Die von Tagträumern eifrig vorangetriebene, im Kern aber planlose Klima- und Energiepolitik leistet hier ebenso wenig einen werthaltigen Beitrag, wie die kürzlich voller Stolz verkündete „feministische Außenpolitik“. Und auch eine noch so vorbildliche demokratische Haltung und Werteorientierung kann den immer stärker zu Tage tretenden Mangel an mathematisch-naturwissenschaftlicher Kompetenz, Leistungswillen und Leistungsfähigkeit in den relevanten Technologien nicht kaschieren.

Die Tragik der deutschen Energiewende liegt darin, dass ihre eifrigsten Unterstützer die denkbar geringste Ahnung von der Materie und der Komplexität der Zusammenhänge haben. Die Vermutung drängt sich auf, dass ihnen schlichtweg das mathematisch-naturwissenschaftliche Rüstzeug dafür fehlt. Zu dieser naheliegenden Erklärung kommt man jedenfalls dann, wenn man die Videokritik von Prof. Krötz (s. [1]) zum gymnasialen Leistungsniveau in Nordrhein-Westfalen verarbeitet hat. NRW steht dabei stellvertretend für das schulische Niveau in Mathematik und den Naturwissenschaften in ganz Deutschland.

Werte sind kein Ersatz für Leistung

Die politischen Parteien, allen voran die Grünen, aber auch andere, verschließen die Augen vor den tatsächlichen Problemen und kümmern sich in ihren politischen Programmen vor allem um Nebenkriegsschauplätze und Vordergründiges mit hoher Publikumsresonanz. Tatsächlich sind sie die Hauptverursacher der wachsenden Inkompetenz, indem sie die Hand anlegen an die Grundlagen der Leistungsgesellschaft. Und diese Grundlage wird in Schule und Elternhaus gelegt.

Wie effektiv sie dabei sind, das erfahren wir nahezu täglich in den Nachrichten. Wir haben uns mittlerweile mit langen Planungszeiten, Fehlkalkulationen, jahrelangen Verzögerungen, Mängeln in der Ausführung und unvorhergesehenen Wartezeiten bis zur Fertigstellung von was auch immer abgefunden. Jedenfalls dann, wenn dauermoralisierende Politiker und ihre in den Jahren des Überflusses fett und träge gewordene Bürokratie dafür verantwortlich zeichnen.

Muss einen das wundern, wenn die Parteien Leute ins Parlament schicken, die teilweise ohne jegliche Berufsausbildung und Berufserfahrung sind? Nicht selten Studienabbrecher, die außerhalb der Politik keinen Fuß auf den Boden bekommen würden; mit anderen Worten: „Minderleister“. Diese Politiker haben vielfach jeglichen Realitätsbezug verloren. Das Ergebnis ist u.a. die schleichende Abkehr vom Leistungsprinzip. Absehbar mit fatalen Folgen.

Nur zur Erinnerung: Wohlstand kommt von Leistung

Das Erfolgsprinzip heißt Fleiß, Disziplin, Ausdauer, Innovation. Dazu gehören Leistungsbereitschaft (Willen) und Leistungsfähigkeit (Können) die in der Schule und im Elternhaus vermittelt werden müssen. Die Schule ist auf dem besten Wege, diesbezüglich zum Totalausfall zu werden. Zum Teil unverschuldet, wegen der weitgehend ungesteuerten hohen Zuwanderungsanteile in den Klassen – die aber wiederum das Ergebnis einer fehlgeleiteten Politik sind. Zum Teil aber auch als Resultat einer links-grünen Werteverschiebung und der damit verbundenen Abwendung von den klassischen Erfolgstugenden, wie sie bereits genannt wurden.

Sind wir noch in der Spur? – Vergleich NRW und Indien

Im sehenswerten Video von Prof. Krötz (s. [1]) wird ein Vergleich des erwarteten Leistungsstandes auf dem gymnasialen Abschlussniveau in Mathematik und den Naturwissenschaften (Physik, Chemie) zwischen Nordrhein-Westfalen und Indien gezogen. Die Ergebnisse sind verheerend. Das Niveau in NRW liegt etwa ein bis zwei Semester unter dem der indischen Studienanfänger.

Videokritik Prof. Krötz

Prof. Kroetz schätzt, dass allenfalls einige ppm der leistungsfähigsten Abiturienten den indischen JEE-Test (Joint Entrance Examination, eine Art universitärer Zulassungstest, insbesondere für technische Studiengänge, s. [2] JEE-2022) erfolgreich absolvieren könnten. Er glaubt auch nicht, dass deutsche Ingenieursstudenten nach dem zweiten Studiensemester bei diesem Test besonders gut abschneiden würden. – In Indien schaffen diesen Eingangstest jedes Jahr einige Zehntausend mit guten Ergebnissen.

Ein Blick auf China und die dortigen Anforderungen an den technisch-wissenschaftlichen Nachwuchs bestätigt den Eindruck aus Indien. Für deutsche Abiturienten ist das i.d.R. nicht machbar. Der Leistungsabstand ist zu groß.

Wird die Schule ihrem Auftrag gerecht?

Woher kommt dieser enorme Leistungsunterschied? Er hängt wohl auch mit den bereits oben angesprochenen Punkten zusammen. Tatsächlich findet sich in den Leitlinien des gymnasialen Mathematikunterrichts von NRW (Entwurf, Stand 23.01.2023) die folgende Passage:

Im Rahmen es allgemeinen Bildungs- und Erziehungsauftrags unterstützt der Unterricht im Fach Mathematik die Entwicklung einer mündigen und sozial verantwortlichen Persönlichkeit und leistet weitere Beiträge zu fachübergreifenden Querschnittsaufgaben in Schule und Unterricht, hierzu zählen u.a.

  • Menschenrechtsbildung,
  • Werteerziehung,
  • politische Bildung und Demokratieerziehung,
  • Bildung für die digitale Welt und Medienbildung,
  • Bildung für nachhaltige Entwicklung,
  • geschlechtersensible Bildung,
  • kulturelle und interkulturelle Bildung.
Auszug aus dem Entwurf zum Kernlehrplan Mathematik, Sekundarstufe II, NRW; Polemik dazu in den blauen Kästchen.

Kein Wort zu den Inhalten, keine Formulierung von Anforderungen, keine Zielvorgabe. Was wird hier eigentlich propagiert? Das Leistungsprinzip? – Wohl kaum. Es ist eher ein Sammelsurium von politisch korrekten Schlagworten, die mit Mathematik absolut nichts zu tun haben. Wer diesen Mathematikunterricht erfolgreich absolviert hat, kann vermutlich geschlechtersensibel formulieren und Rechte von Linken unterscheiden. Vielleicht weiß er sogar, nach welchen demokratischen Verfahren Stimmenanteile in Mandate umgerechnet werden – obwohl die dafür nötige Bruch- und Prozentrechnung manche bereits an ihre Grenzen führen wird – aber beherrscht er auch das Handwerkszeug für eine wertschöpfende Tätigkeit im technischen oder industriellen Umfeld? Bringt er die Grundlagen für ein technisch-naturwissenschaftliche Studium mit?

Muss man sich da noch wundern, wenn sich Schüler und junge Erwachsene auf der Straße festkleben und das für einen Beitrag zum Klimaschutz halten, statt mit Können, Fleiß, Disziplin und Ausdauer an innovativen Lösungen zu arbeiten?

Historischer Vergleich Realschule – Gymnasium

Der Verlust an konkretem Leistungsvermögen wird auch im historischen Vergleich sichtbar. Prof. Kroetz hat sich die Anforderungen an Realschüler der 1970-er Jahre in Baden-Württemberg angeschaut und kommt zum fast schon resignierenden Schluss, dass ein heutiger Standardabiturient die damaligen Realschulaufgaben kaum erfolgreich bearbeiten könnte. Das muss man sich deutlich vor Augen führen: Was man noch vor 50 Jahren auf der Realschule ohne Weiteres Sechzehnjährigen beibringen und in Prüfungen abverlangen konnte, das überfordert heute den durchschnittlichen 18-Jährigen Gymnasiasten.

Diese Erkenntnis ist fast noch alarmierender als der Vergleich mit dem indischen oder chinesischen Akademikernachwuchs.

Mathematik und Naturwissenschaften sind die Grundlagen des wirtschaftlichen Erfolgs

Im Jahre 1717, also vor nun 300 Jahren, hat König Friedrich Wilhelm I die allgemeine Schulpflicht in Preußen eingeführt. Als einer der ersten europäischen Monarchen seiner Zeit hatte er  erkannt, dass gebildete Bürger für einen modernen Staat eine unverzichtbare wirtschaftliche Ressource darstellen. Davor war die allgemeine Schulpflicht u.a. schon im Herzogtum Pfalz-Zweibrücken (1592) in Sachsen-Gotha (1642) und Württemberg (1649) eingeführt worden (s. [3] Schulpflicht).

Im obigen Absatz liegt die Betonung auf „wirtschaftliche Ressource“. Davor war Bildung das Privileg des Klerus, des Adels und der reichen Bürger. Sie war bis dahin eher Selbstzweck und keinem bestimmten Nutzen untergeordnet. Das Verständnis von Bildung als potentiell wirtschaftlich nutzbringend entwickelte sich erst nach und nach im Zuge der Aufklärung. In der zunehmend komplexer werdenden Welt wuchs der Bedarf an Menschen, die lesen, schreiben und rechnen konnten von Generation zu Generation. Heute ist es ein Allgemeinplatz, dass ein hohes Bildungsniveau den wirtschaftlichen Erfolg eines Landes begründet.

Im technischen Zeitalter waren und sind dabei insbesondere die Kompetenzen in Mathematik und den Naturwissenschaften von großer Bedeutung. Die besondere Leistungsfähigkeit in diesem Bereich war die Grundlage für die Entfaltung Europas zur zivilisatorisch und technologisch dominierenden Macht. Und sie war auch die Basis für den Aufstieg Deutschlands zu einer der weltweit führenden Wissenschafts- und Wirtschaftsnationen. Die industrielle Entwicklung der letzten 150 Jahre wäre ohne diese herausragende Leistung nicht möglich gewesen. Dazu gehörten nicht nur das technisch-wissenschaftliche Fachwissen, das Talent, die Geschicklichkeit und der Fleiß der Menschen, auch ihre Leistungsfreude und ihr Leistungswillen waren es, die die Türen aufgestoßen haben zu neuen Entwicklungen, zu neuen technischen Lösungen, zu Innovationen und damit zum wirtschaftlichem Erfolg.

Wohlstand ist das Ergebnis von Arbeit, nicht von Schönreden

Der Wohlstand Deutschlands als eines Landes nahezu völlig ohne natürliche Ressourcen ist das Ergebnis von Arbeit, Fleiß, Wissen und Können. Es ist das Leistungsprinzip, was uns den Erfolg gebracht hat. Wenn wir uns von diesem Grundsatz abwenden, dann werden wir über kurz oder lang als Gesellschaft und als Land massive Wohlstandsverluste in Kauf nehmen müssen. Spätestens in 1 oder 2 Generationen, wenn die Dividende der vergangenen Prosperität aufgebraucht und der Glanz der Industrienation verblasst ist, werden wir uns in der zweiten oder dritten Reihe wiederfinden. Da ist auch die Diskussion um eine Fachkräftezuwanderung nur ein herumdoktern an Symptomen.

Durch die politischen Weichenstellungen der letzten Jahre wird die Abkehr vom Leistungsprinzip (s. a. Gleich, gleicher, Gleichmacherei – sumymus blog) quasi festgeschrieben. Daran haben alle politischen Parteien mitgearbeitet, allen voran die Grünen und die SPD. Das sieht man in der Schulpolitik (s.o.), man kann es aber auch am generellen gesellschaftlichen und politischen Klima festmachen.

Im Zentrum der politischen Diskussion stehen seit Jahren „Haltung und Werte“, politische Korrektheit, geschlechterneutrale Sprache, Rassismus, Feminismus, Antisemitismus, Faschismus. Interessen des Landes und seiner Bürger, aktuelle und zukünftige, die doch im Zentrum jeglicher Politik stehen müssten, sind kaum ein Thema. Und wie man das Geld für die vielen woken Projekte erwirtschaftet, das interessiert nur am Rande. Gesellschaft und Politik arbeiten sich ab an Randthemen, die man durchaus auch in den Blick nehmen kann, die aber nicht die lebenswichtigen zentralen Fragestellungen beiseite drängen dürfen, ohne deren Lösung – nebenbei bemerkt – die Luxusprojekte noch nicht einmal finanziert werden können.

Resümee

Wir brauchen die Rückbesinnung auf die Erfolgsfaktoren Fleiß, Disziplin, Ausdauer, Leistungsbereitschaft (Willen) und Leistungsfähigkeit (Können), nicht nur, aber vor allem in den vernachlässigten mathematisch-naturwissenschaftlichen Disziplinen. Sonst droht ein kaum mehr vermeidbarer Absturz und in dessen Gefolge ein massiver Verlust an Wohlstand.


Quellen und Querverweise

[1]: Videokritik: Schulmathematik: Vergleich Indien-NRW

[2]: JEE 2022 (Examen in Mathematik, Physik und Chemie als PDF / Download)

[3]: Schulpflicht in Deutschland

[4]: Leistungsprinzip (Gleich, gleicher, Gleichmacherei – sumymus blog)

Soll man heute noch Wirtschafts­wissen­schaften studieren?

Die Wirtschaftswissenschaft ist die einzige „Wissenschaft“, in der man sowohl für die Formulierung einer Theorie als auch deren Widerlegung den Nobelpreis bekommen kann. – Das sagt nicht alles, aber schon vieles und ist letzten Endes dann doch noch harmlos:  So gibt es z.B. politisch überkorrekte Disziplinen wie die „Genderforschung“ (allein in Deutschland kann man fast 200 Professuren zählen). Dabei handelt es sich um eine Art „säkularer Theologie“ auf der Basis von vorwissenschaftlichen Glaubensgrundsätzen. Verglichen damit ist BWL eine exakte Wissenschaft.

Letzten Endes befindet sich die Wirtschaftswissenschaft in „guter“ Gesellschaft mit anderen (Geistes- und Sozial-) „Wissenschaften“ die sich gerne als solche bezeichnen, die aber zumindest nicht in der gleichen Liga spielen wie die Natur- und Ingenieurswissenschaften und insbesondere die Mathematik (nehmen wir als Platzhalter einfach das Akronym MINT = Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik). Worin liegen die wesentlichen Unterschiede? Ich denke, es gibt drei ganz wichtige Gesichtspunkte.

  1. Methodik.
    In den MINT-Disziplinen haben wir einen definierten und allgemein anerkannten sich evolutionär – manchmal auch disruptiv – erweiternden Satz von beweisbaren (im Sinne von funktionierenden und sich nicht widersprechenden) Methoden zur Lösung von Teilproblemen. Die Geistes- und Sozial-Wissenschaften, zu denen ich die Wirtschaftswissenschaften rechne, verfügen zwar ebenfalls über gewisse methodische Ansätze, meist beschränken sich diese aber auf die deskriptiven Aspekte. Sie können nichts oder nur wenig erklären, also Beobachtungen zwingend auf Ursachen zurückführen. Zum Teil auch deswegen, weil es diese einfachen kausalen Beziehungen in vielen Fällen gar nicht gibt.


  2. Objekt (der Betrachtung).
    In den MINT-Disziplinen kommt dem untersuchten Gegenstand (axiomatischer Rahmen der Mathematik, digitale Welt, unbelebte und belebte Natur, Technik) gewissermaßen eine objektiv existierende oder gestaltbare Realität zu, die im Grundsatz unabhängig vom Betrachter über einen Satz von beobachtbaren Eigenschaften verfügt (Der Begriff der „objektiv bestehenden Realität“ ist schwierig und angreifbar, sehen wir einstweilen darüber hinweg). Ganz anders bei den Geistes- und Sozial-Wissenschaften. Das Objekt der Untersuchung sind wir selbst. Können wir aus der Innenperspektive heraus objektiv von außen auf uns selbst blicken? Nein! Wir existieren nicht unabhängig von uns selbst, von unserem eigenen Denken. Nach Descartes („Cogito ergo sum“) ist das Denken selbst gewissermaßen die Voraussetzung für unsere Existenz. Wir können über uns selbst reflektieren, wir können dabei aber keine objektiven Wahrheiten zutage fördern. Wir sind vernunftbegabte Wesen, wir verhalten uns aber nicht selten im Widerspruch zur Ratio. Beispiel: Das lange als gültig betrachtete wirtschaftswissenschaftliche Paradigma des rational handelnden Marktteilnehmers ist längst als Schimäre entlarvt.


  3. Resultate.
    MINT: Erkenntnisse über die gemäß 2 charakterisierten Gegenstände werden mittels Beobachtung und/oder Experimenten gewonnen und sind in aller Regel beliebig reproduzierbar, deswegen lassen sich im Verein mit Punkt 1 Modelle über die interessierenden Weltausschnitte erstellen, mit deren Hilfe zutreffende Ursache-Wirkungsbeziehungen (Vorhersagen) formuliert werden können. Darin liegt die große Stärke der Naturwissenschaften, der Technik und der Mathematik. – In den Geistes- und Sozial-Wissenschaften gibt es nur selten Reproduzierbarkeit. Modelle über die Realität sind in der Regel nicht verallgemeinerbar und gelten nur für den ganz speziellen Fall, für den sie geschaffen wurden. Im Ergebnis stehen Vorhersagen für zukünftige Ereignisse auf wackligen Beinen. Hinzu kommt die durch Prognosen hervorgerufene mögliche und sogar wahrscheinliche Beeinflussung künftigen Verhaltens. Der Hinweis auf den Aktienmarkt mag als Beleg genügen. Ich denke, man kann ganz allgemein ein paradoxes Prinzip formulieren: Ereignisse und Verhalten, die der Mensch selbst beeinflussen kann, entziehen sich der Vorsehbarkeit. Resümee: Die Geistes- und Sozial-Wissenschaften sind i. A. nicht in der Lage, zutreffende Ursache-Wirkungsbeziehungen abzuleiten und schlüssig darzulegen. Genau das ist ihre große Schwäche.

Vielleicht wird der eine oder andere hier die Messbarkeit als Unterscheidungsmerkmale vermissen. Messbarkeit ist KEIN Kriterium für eine exakte Wissenschaft. Die minimale Voraussetzung für sinnhaftes wissenschaftliches Arbeiten ist Unterscheidbarkeit: Der Gegenstand der Betrachtung muss abgrenzbar sein und er muss sich in irgendeiner Weise in unterscheidbare Teile (in allgemeinster Form also Elemente, Fragmente, Objekte, Subjekte, Ideen, …) gliedern lassen. Ist dies gegeben und können zudem den Teilen Eigenschaften zugewiesenen werden (mathematisch gesehen entspricht dies der Definition einer abstrakten Abbildung \(f\) aus dem Gegenstandsraum \(G\) auf einen Zielraum \(E\), den wir Eigenschaftsraum nennen), so haben wir bereits alle nötigen Zutaten für eine exakte Wissenschaft. Z.B. können dann schon Aussagen der Art „Teil A steht zu Teil B in der Beziehung X“ getroffen werden. Der Grad der erreichbaren Exaktheit ist vor allem eine Funktion des in die Strukturierung gesteckten Aufwandes. Exaktheit heißt ja nicht, dass Ergebnisse auf \(n\) Stellen nach dem Komma angegeben werden können. Ein exaktes wissenschaftliches Ergebnis kann genauso gut in einer wahren aber zahlenlosen Aussage stecken. Ein Beispiel: Die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum ist konstant.

Messbarkeit ist ein spezifischerer Begriff und hängt ab vom Charakter der o.g. Abbildung \(f\) und der besonderen Struktur des Eigenschaftsraums \(E\). Ist letzterer ein (endlicher oder unendlicher) Zahlenraum, so können wir von Messbarkeit reden. – Das erscheint vielleicht abstrakt, ist aber bereits entschärft. Die abstrakt-mathematische Definition von Messbarkeit ist viel komplexer.

Dazu noch ein Zitat des Aufklärers und Aphoristikers Georg Christoph Lichtenberg: „Ich glaube, dass es, im strengsten Verstand, für den Menschen nur eine einzige Wissenschaft gibt, und diese ist reine Mathematik. Hierzu bedürfen wir nichts weiter als unseren Geist.“ Oder, etwas profaner und gleichzeitig provokativer: „… alles andere ist eine Mischung aus Handwerk und Stochern im Nebel“.

Trotz der o.g. Punkte kann  man dennoch konstatieren: Gerade Betriebs- und Volkswirtschaft sind Generalistenstudiengänge par excellence, idealerweise gepaart mit einem technologischen Schwerpunkt (z.B. Informatik). Jura dagegen ist ein eher eindimensionales Studium, in dem das reale Leben praktisch nicht vorkommt und versucht wird, die Welt in ein Schema von Regeln zu pressen. Die Tatsache, dass Juristen nicht selten Karriere in Politik und Wirtschaft machen hat m.E. weniger mit dem Inhalt des Jurastudiums zu tun, als vielmehr mit einer gesellschaftlichen Fehlentwicklung: Wir glauben, alles müsse geregelt sein und haben es verlernt, Freiräume konstruktiv und konsensual zu gestalten. Im Ergebnis bekommen wir immer mehr Reglementierung und wundern uns, dass wir aus dem Gestrüpp der sich widersprechenden Vorschriften und Regeln ohne rechtskundige Spezialisten, die doch das Dickicht selbst angelegt haben, nicht mehr herausfinden. – Alles klar? (Nein, das ist keine Anmache; das ist der kürzeste Juristenwitz)

Generell darf man nicht erwarten, im Studium einen festen Satz von unabänderlichen methodischen Vorgehensweisen und Modellen zu erlernen, die im späteren Berufsleben dann stur angewendet werden. In meinem Verständnis dient ein Studium vor allem dazu, selbstständiges und kritisches Denken einzuüben. Die erlernten Modelle und Methoden verstehe ich als Exempel. In der Mathematik liegt der Schwerpunkt im Abstrakt-Theoretischen, worin zweifellos große Potentiale im Hinblick auf vielfältige Anwendungsbereiche liegen. Allerdings ist hier der Transferaufwand in aller Regel vergleichsweise hoch. Viel näher an den realen Problemen ist man in den Wirtschaftswissenschaften, fertige Lösungen und Rezepte darf man gleichwohl auch hier nicht erwarten.